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27.10.2016

Wahlkampfroman 2016. „So wird das Leben.“ 13. Folge.

Wahlkampfroman 2016.

So wird das Leben.

Dreizehnte Folge.1

Die Vroni hatte begonnen, wieder in die Nationalbibliothek zu gehen und dort zu lernen. Auf dem Weg von der Bibliothek zum Institut im alten AKH hinüber sah sie, wie ein Panzer von einem Tieflaster heruntergefahren wurde. Der Panzer wurde neben das Burgtheater gefahren, und Vroni erinnerte sich, daß die Ringstraße ja als Aufmarschstrecke für das Militär geplant worden war. Der Kaiser verdankte seine Thronbesteigung schließlich den Ereignissen des Jahres 1848, und die Angst vor der Revolution lag von da an allem seinem Handeln zugrunde.

Vroni blieb stehen und schaute noch zu, wie ein Hubschrauber auf einem Tieflaster geliefert und zu den Panzern neben das Burgtheater gestellt wurde.

In den Medien war zum Nationalfeiertag nur gemeldet worden, daß die Angelobung der Soldaten diesmal ohne Bundespräsidenten stattfinden müsse, und es wurde nicht gesagt, daß es die Nationalratspräsidentin sein würde, die den Soldaten den Eid abnehmen würde. Das war sicherlich, weil man sich das von einer Frau nicht vorstellen wollte.

Die Vroni ging dann weiter zum Institut. Sie wollte in der Bibliothek da noch ein Buch bestellen und danach den Toni im AKH im Café Klinik treffen.

Die Vroni dachte, daß die Panzer und diese Transporthubschrauber schon sehr groß gegen das Burgtheater ausgesehen hatten. So mußte das damals in Budapest ausgesehen haben, dachte Vroni. Es war gerade der Jahrestag des Ungarnaufstands im Jahr 1956 gefeiert worden, und die Bilder von damals mit den russischen Panzern mitten in Budapest waren überall zu sehen gewesen. In Ungarn war ein Kampf darüber entbrannt, welche Partei sich diese Volkserhebung anrechnen durfte. In Österreich hatte man sich nur an die Willkommenskultur erinnert, mit der die Ungarnflüchtlinge empfangen worden waren. Aber das waren „weiße“, antikommunistische Flüchtende gewesen, fiel Vroni ein. Die hatte das Schicksal ereilt, das sich die Österreicher und Österreicherinnen gerade mit dem Staatsvertrag erspart hatten. Die heutigen Flüchtenden. Vroni mußte einer Gruppe als Zombies und Hexen verkleideten Kindergartenkindern ausweichen. Die heutigen Flüchtenden waren einfach nicht „weiß“ genug, dachte sie. Wenn sie an Trump dachte und dann an den Höflein. Denen ging es doch nur darum, so viele „weiße“ Babys wie möglich in die Welt zu zerren. Die hatten immer noch eine Staatsvorstellung wie die Kaiserin Maria Theresia im Barock, bei der es darum ging, so viele Staatsbürger wie möglich zu produzieren. Damals war es um das Kanonenfutter für die imperialen Kriege gegangen. Was hatte der Höflein vor. Die Tante Roswitha hatte gesagt, daß es auf Krieg zuginge und daß man sich einmal anschauen müsse, wie oft der Strache von Bürgerkrieg reden würde. „Wer vom Krieg redet, der führt schon Krieg.“ hatte die Tante Roswitha gemurmelt, und die Vroni hatte den Kopf geschüttelt über so viel Pessimismus. Aber die Panzer und wie die Polizisten und die Soldaten miteinander so plaudernd herumgestanden hatten, da war ihr das plötzlich real geworden. Sie hatte sich gut vorstellen können, wie die Soldaten auf die Panzer kletterten und die Polizisten sich zu einer Reihe formierten. Die Zuschauenden wurden von den Polizisten zusammengedrängt, und die Panzer fuhren auf den Ring und stoppten den Verkehr. Oder die Panzer fuhren auf dem Reitweg zwischen den Bäumen zum Parlament und umstellten es. „Frühjahrsparade“ fiel ihr ein. Das war einer dieser Filme aus dem Austrofaschismus, der in Deutschland nicht gespielt werden sollte, weil der Hauptdarstellerin Franziska Gaal vorgeworfen worden war, nicht arisch genug zu sein. Robert Stolz hatte 1934 einen Marsch für den Film geschrieben, von dem mittlerweile alle glaubten, er wäre aus der Monarchie und die echten Soldaten wären in der echten Frühjahrsparade vor dem echten Kaiser nach diesem Marsch im echten österreichischen Paradeschritt defiliert. Vroni hatte eine Lehrveranstaltung über das Film-Österreich der Jahre bis 1968 besucht, und da war lange über den Unterschied zwischen dem deutschen Stechschritt und dem österreichischen Paradeschritt geredet worden. Dabei mußte der Soldat in der Habt-Acht-Stellung den aufrechten Körper vorneigen, die Ferse abheben und das Bein mit nach unten gestreckter Spitze heben und den Fuß mit der ganzen Sohle aufsetzen. Die Vroni konnte sich noch erinnern, daß die Vorlage des Oberkörpers wichtig war und daß nur immer halbe Schrittlängen gegangen werden durften. Sie waren auf den Gang im Institut hinausgegangen und hatten dieses Gehen ausprobiert.

Im ersten Hof vom alten AKH mußte die Vroni dann stehen bleiben. Sie stand vor der Tür zum Aufgang zum Institut für Zeitgeschichte und konnte nicht weiter gehen. Sie mußte an der Tür vorbeigehen und gleich nach links zum Ausgang aus dem Hof abbiegen. Sie hatte plötzlich schreckliche Angst, diesen Sven Mitterer zu treffen. Sie stellte sich vor, der säße in der Bibliothek und schaute sie verächtlich an. Die Vroni konnte sich mit einem Mal ganz genau an diesen Mann erinnern und wie er den Rucksack für sie nicht vom Sessel nehmen hatte wollen, obwohl kein einziger Platz mehr frei war. Sie mußte sich vorstellen, wie er mit diesem arroganten Blick ihre Hand streifte, um zu sehen, wie es um ihre Verletzung stand, die er ihr zugefügt hatte. Die Vroni konnte sich sehen, wie sie diesem Blick folgend dann wieder ihn ansehen mußte und daß sie dann eigentlich die Polizei holen mußte. Und das konnte sie nicht. Dazu war sie nicht fähig, und sie fühlte sich wie gelähmt.

Sie ging über die Spitalgasse und bog in die Lazarettgasse ein. Warum hatte sie keine Wut. Warum bekam sie keine Wut. Warum stieg kein Zorn auf. Wieso hatte sie immer noch Angst. War das so einfach, sie in eine derartige Ohnmacht zu treiben.

Sie setzte sich ins Café Klinik und starrte vor sich hin. „Vroni. Vroni.“ Ihr Name wurde gerufen. Der Toni saß in der Ecke hinten. Die Kristi war bei ihm und der Markus.

Die Vroni mußte einen Augenblick sitzen bleiben. Was machte die Kristi schon wieder da? Und wie kam der Markus hierher?

Sie tat so, als wäre ihr etwas zu Boden gefallen. Sie beugte sich unter den Tisch und holte tief Luft. Dann richtete sie sich auf und ging zu den anderen. Denen war ihr Zögern gar nicht aufgefallen.

„Hast du schon gehört, wie das mit Naeem und Pant ausgegangen ist?“ Vroni schüttelte den Kopf. Markus sah sie fragend an, aber sie setzte sich neben Toni. Die Kristi saß da und lachte. „Das war alles ein Mißverständnis. Stell dir vor. Die zwei sind jetzt Lehrlinge bei dem Tischler Soyka. Du weißt schon. Der grantige ältere Mann, der immer die Polizei holt, wenn jemand auf seinem Halteverbot parkt. Das hätten wir uns auch nicht gedacht. Aber der hat die zwei gefragt, ob sie nicht etwas Ordentliches machen wollen, und dann hat er sie gleich in die Werkstatt hineingeholt, und die sind ewig da geblieben.“ Und der Toni erzählte weiter. „Und weil der Pant nicht so gut Deutsch kann, hat er nur „Wir sind weg.“ auf den Zettel für die Prokesch geschrieben, und deshalb hat die geglaubt, die sind ganz weg.“ „Die Prokesch und der Soyka haben jedenfalls das erste Mal in den 30 Jahren, die sie in dem Haus sind, miteinander geredet.“ sagte die Kristi.

Die Kellnerin kam und Vroni bestellte Pfefferminztee. Sie getraute sich keinen Kaffee zu trinken. Nach Kaffee wurde sie immer noch unruhiger. Markus lehnte sich über den Tisch ihr zu und fragte, „Was ist denn los mit dir? Es ist doch etwas. Oder?“ Die Vroni seufzte. Sie wollte nicht erzählen, daß sie aus neurotischen Gründen nicht in ihr Institut gehen hatte können, deshalb fragte sie, ob die anderen die Panzer auf dem Ring gesehen hätten. Aber die waren alle mit der U-Bahn gekommen. „Was gelobt so ein Soldat eigentlich?“ fragte Vroni. „Gute Frage.“ sagte Kristi. „Was verteidigen die denn eigentlich?“ Der Toni googelte schon. „Na.“ sagte er dann. „Das ist sehr allgemein.“ und dann las er vor:

„Ich gelobe, mein Vaterland, die Republik Österreich, und sein Volk zu schützen und mit der Waffe zu verteidigen. Ich gelobe, den Gesetzten und den gesetzmäßigen Behörden Treue und Gehorsam zu leisten, alle Befehle meiner Vorgesetzten pünktlich und genau zu befolgen und mit allen meinen Kräften der Republik Österreich und dem österreichischen Volke zu dienen.“

„So wahr mir Gott helfe und ich Höflein heiße.“ ergänzte Markus und grinste. Alle lachten. Der Bundespräsidentschaftskandidat Höflein warb mit diesem Satz auf seinen neuen Wahlplakaten. „Aber da wird nichts darüber gesagt, was für eine Staatsform diese Republik hat.“ sagte Vroni. „Nein.“ sagte der Toni. „Das könnte auch der reine Faschistenstaat sein und die armen Teufel müßten dann den glatt verteidigen.“ „Wollen wir ins Kino gehen.“ fragte Kristi und schaute fragend. „Wir müssen uns von diesem ganzen Zeugs auch einmal erholen.“

Vronis handy piepste. Vroni schaute nach und sah, daß das eine Nachricht von Meran war. Sie ging auf die Toilette, um die Nachricht nicht vor den anderen lesen zu müssen. Meran wollte sie um 10.00 Uhr am Abend ihrer Zeit anrufen. Ob sie erreichbar sein würde. Vroni wußte nicht, was sie tun sollte. Auf den Anruf warten und mit diesem unerreichbaren Mann sprechen oder mit einem erreichbaren Mann ins Kino gehen?

 

1. Diese Folge ist allen weiblichen Parlamentsabgeordneten auf der ganzen Welt gewidmet. In einer Studie der Inter-Parliamentary Union (IPU) beklagten 80 % der weiblichen Abgeordneten aus 39 Staaten sexistisch motivierter Gewalt in ihrem jeweiligen Parlament selbst und noch dazu von ihren eigenen Parteien ausgesetzt zu sein. Im Internet erhalten diese Politikerinnen doppelt so viele Haßpostings wie ihre Kollegen. 40% der Politikerinnen gaben an, mit Tod, Vergewaltigung oder Entführung bedroht worden zu sein. Selbst die Kinder der Politkerinnen bekamen Todes- oder Entführungsdrohungen. Nach wie vor geht es darum, den Raum der Politik für Frauen zu reklamieren. Denn. Demokratie gibt es erst nach erreichter Geschlechtergerechtigkeit.