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10.11.2016

Wahlkampfroman 2016. „So wird das Leben.“ 15. Folge.

Wahlkampfroman 2016.

So wird das Leben.

Fünfzehnte Folge.1

Die Vroni hatte die anderen an diesem Abend dann doch noch getroffen. Das Gespräch mit Meran war an der Leitung gescheitert, und sie hätte es in der Wohnung nicht ausgehalten. Beim ersten Abheben hatte sie Meran nicht hören können. Dann beim zweiten Anruf war Merans Stimme wie von einem Synthesizer zerhackt gewesen. Dann hatte Vroni es versucht, aber es war keine Verbindung zustande gekommen. Als dann die Kristi textete, daß sie in die Bar vom Top Kino nachkommen solle, ging sie sofort hin.

Die Bar war überfüllt, und die Vroni mußte sich durch die Menge zum Toni und der Kristi durchdrängeln. Der Markus war auch noch da. Die Mia war im Gartenbaukino geblieben. Sie hatte zufällig einen Schulkollegen aus der Mittelschule getroffen, und sie hatten reden wollen.

Die Vroni ließ sich auf das Sesselchen neben der Kristi fallen und wollte fragen, was die anderen tranken. Aber der Toni hielt sie gleich am Arm fest und machte ein böses Gesicht. Er deutete auf einen Mann an der Bar vorne, und die Vroni verstand gleich, warum er so böse schaute. Sie schüttelte seine Hand ab und lachte.
„Das ist der Freund von der Mami.“ sagte sie zu Markus. „Schön, daß du doch noch da bist.“ sagte der. „Ja. Entschuldige. Hallo!“ Die Vroni beugte sich zu Markus und küßte ihn zur Begrüßung auf die Wange. „Aber du mußt uns entschuldigen.“ sagte sie. „Dieser Mann. Weißt du. Der ist so. So…“ Die Vroni schaute fragend zu Toni. Der saß vorgebeugt und schaute auf den Boden. „Ist es so schlimm?“ fragte die Kristi und lachte. Der Toni schüttelte den Kopf. Er ließ sich nicht aufheitern. „Was stört Euch denn an dem?“ Markus beugte sich vor. Sie mußten die Köpfe zusammenstecken, damit sie einander verstehen konnten. Es war sehr laut in dem Lokal, und die Vroni konnte nur den Rhythmus der Musik über dem Lärm hören.

„Der Toni geniert sich für ihn.“ sagte die Vroni. „Er stellt sich an Straßenecken und hält Volksreden.“ „Ach.“ sagte die Kristi. „Und was predigt er?“ Die Vroni schaute wieder den Toni fragend an. Der setzte sich auf. „Nein. Ich geniere mich nicht. Wirklich nicht. Oder doch? Ich weiß es nicht.“ Die Kristi setzte sich auf. „Also was?“ lachte sie. „Ja. Weißt du…“ „Wer ist denn das überhaupt?“ fragte der Markus. „Also.“ sagte Vroni. „Der heißt Conrad Boenhase. Conrad mit C. Und der ist Romanist. Der unterrichtet Französisch an der Uni. Und der glaubt an die Macht der Philosophie. Deswegen…“

Der Mann an der Bar war auf die Theke der Bar geklettert. Er saß auf der Theke und ragte über alle hinaus. Er hielt zwei Weingläser hoch und stieß sie gegeneinander. Erst war das Klirren gar nicht zu hören, weil es so laut war. Dann wurde gezischt und „Ruhe“ gerufen und es war die Musik zu hören. Conrad Boenhase deutete dem Barkeeper, die Musik leiser zu schalten. Der schaute sich erst um. Es waren aber alle Boenhase zugewandt. Der Barkeeper zuckte mit den Achseln und ging in die Ecke zur Musikanlage.

„Ich möchte mit Euch über diese Wahl reden.“ sagte der Mann. Es wurde geschrien und gepfiffen, und alle lachten.

„Ich verstehe, was du meinst.“ sagte die Kristi zum Toni und die Vroni nickte. Markus lachte auch.

„Ihr lacht?“ fragte Boenhase. „Dann lacht Euch noch einmal ordentlich aus. Ihr Fehlgeleiteten. Aber was verlange ich von Euch, Ihr kulturell digitalisierten Verlorenen. Ihr wißt ja nicht einmal mehr, was eine persönliche Entscheidung ist, weil Ihr nur den Likes nachgehen könnt. Ihr müßt Euch ja Euren Platz in der digitalen Gemeinschaft mit Euren Likes verdienen. Ihr werdet immer nur so viel Anerkennung bekommen, wie Ihr vergeben habt. Ihr werdet nie auf einen grünen Zweig kommen, weil Ihr für die Algorithmen nur noch black boxes seid und Eure Ideen, Träume und Wünsche nicht einmal von Euch selber noch gedacht werden können. Und da kommt nun die Möglichkeit, sich in einer Ideologie Bestätigung holen zu können. Aber ich frage Euch. Wen wollt Ihr denn da wählen? Bei dieser Präsidentschaftswahl.“

Wieder wurde geschrien und gepfiffen. Viele hatten aber ihre Gespräche wieder aufgenommen, und der Barkeeper ging, die Musik wieder lauter aufzudrehen. Welchen Präsidenten er meine, wurd gerufen.

Boenhase kletterte auf die Bar und kniete. Er hielt sein Weinglas hoch. „Ich meine beide Präsidentschaftskandidaten. Eigentlich meine ich Trump und Höflein. Aber hier geht es um uns. Um unseren Staat. Um unsere Demokratie oder das, was wir so nennen. Und. Ist es denn wirklich so vermessen, sich Verantwortung von einem Kandidaten für dieses Amt zu wünschen. Und hat ein Mensch, der drei Kinder hat, aber den gefährlichen Sport des Paragleitens ausübt, hat der Verantwortlichkeit gezeigt. Ich sage nein.“

Es wurde wieder zugehört. Alle riefen „Nein. Das hat er nicht.“

„Und können wir es Verantwortung nennen, wenn jemand die Bezahlung der Folgen einer solch gefährlichen Sportausübung der Allgemeinheit überläßt. Ist Solidarität für Elitensportarten selbstverständlich, während die Vorschläge der Gewerkschafter überstimmt werden, wie das bei den CETA-Entscheidungen wieder der Fall war.“

Buhrufe waren zu hören.

„Und wenn wir erfahren, daß dieser Mann sich nach einer Berufsunfähigkeitspension erkundigt hat, während er die Sozialhilfe weiter kürzen will und den Zugang zur Krankenkasse von der Autochthonie einer Person abhängig machen will. Das heißt, er will alle, die als Ausländer gelten, nicht an den solidarischen Sozialleistungen beteiligen, für sich selbst aber alles nehmen. Ist so eine Person wählbar, wenn sie für sich alle Privilegien beansprucht, sie aber den anderen streitig machen will. Ich sage nein.“

Boenhase trank einen Schluck aus seinem Glas. Es wurde applaudiert. Der Barkeeper benutzte diesen Augenblick, die Musik sehr laut aufzudrehen. Es gab Applaus und Zurufe, aber Boenhase konnte nicht mehr weiterreden. Ein paar Leute umringten ihn und halfen ihm, von der Bar herunterzuspringen.

Die Vroni schüttelte den Kopf. „Es ist ja richtig, was er sagt.“ meinte sie. „Aber muß es der Freund der eigenen Mutter sein?“ seufzte Toni. „Was macht er denn in Wien.“ fragte die Vroni. „Keine Ahnung.“ gab er zur Antwort. „Denn sonst versinke ich im Boden vor. Vor…“ Markus legte seinen Arm beruhigend um Vronis Schultern. „Eltern sind doch immer peinlich.“ sagte er. Die Kristi nickte.

„Müssen wir ihn begrüßen.“ Die Vroni schaute sich nach Boenhase um. „Das müssen wir.“ Der Toni beugte sich wieder vor und schaute den Boden an. „Sei nicht so resigniert.“ sagte die Kristi. „Es gibt Schlimmeres. Ich finde den gut.“

„Und wie wollen wir es machen?“ fragte der Markus die Vroni. Die Vroni wußte nicht gleich, was er meinte. Markus lachte. „Du wolltest doch zur Polizei gehen.“ Der Vroni war gleich wieder schlecht. „Du sollst mit der Mutter von der Mia reden, soll ich dir von der Mia ausrichten.“ sagte die Kristi. „Kannst du aber auch mitkommen?“ fragte Vroni den Markus. Sie mußte aber dann auch gleich wieder an Meran denken und wie das Gespräch so schiefgegangen war. Sie nickte Markus zu, und der nickte zurück. „Dann treffen wir uns bei der Mia. Ja?“ sagte sie und stand auf. „Ich gehe wieder nach Hause.“ sagte sie. „Nein. Nein.“ sagte sie zu Markus. „Allein?“ Vroni nickte. Sie ging sehr schnell weg. Sie wollte allein sein.

Sie drängelte sich zum Ausgang durch. Sie zog ihren Mantel erst auf der Straße wieder an und setzte die Haube auf. Es war kalt. Die Bäume waren fast schon kahl. Die gelben Blätter der Linden lagen auf dem Boden. Die Vroni ging auf dem Ring zur Löwengasse. Sie ging gerade vor dem ehemaligen k.u.k. Kriegsministerium, da läutete ihr Handy. Meran versuchte es noch einmal. Vroni zögerte wieder.

Es war aber nicht Meran. Die Vroni hatte nicht richtig hingeschaut. Es war ihre Mutter. „Vroni, meine Maus. Bist du das?“ fragte sie. „Deine Stimme klingt so komisch.“ „Deine aber auch.“ antwortete die Vroni. „Ist etwas passiert.“ „Das kann man sagen.“ erwiderte die Mutter. „Stell dir vor, was mir passiert ist. Ich habe dir doch von diesem blauen Betriebsrat erzählt. Ich treffe den gerade in der Tiefgarage und wir reden so über alles mögliche und dann über die Wahl in den USA. Und dann sagte der, daß er sicher ist, daß dieser Trump es werden wird. Und dann stützt der sich so auf dem Autodach auf und schaut mich an. ‚Weißt du.‘ sagt er dann. ‚Wenn der gewonnen hat, dann kann ich dich „Blöde Fotze“ nennen, ohne daß mir etwas passiert.‘ Und das Schlimmste ist, daß der sich großartig vorgekommen ist, weil er mir das so indirekt sagt und nicht ins Gesicht.“

Vronis Mutter seufzte. „Was kommt da auf uns zu?“ fragte sie.

Die Vroni wurde wütend. „Was hast du ihm denn gesagt?“ „Ich war so entsetzt, daß mir nichts eingefallen ist.“ „Das ist ja scheußlich.“ meinte Vroni. „Ich habe übrigens den Conrad gesehen.“ „Ja. Der ist für sein Seminar an der Akademie in Wien. Aber wie geht es denn dir so?“ Vroni konnte nur seufzen, und sie machten sich aus, daß die Vroni am Wochenende nach Graz kommen sollte. „Aber wir reden morgen früh. Schauen wir, in was für einer Welt wir aufwachen.“ verabschiedete sich Vronis Mutter.

Als Vroni dann am nächsten Morgen die SMS „das Grauenhafteste ist passiert“ von ihrer Mutter geschickt bekam, da zog sie die Decke über den Kopf. Sie konnte sich nicht in einer Welt vorstellen, in der dieser Trump Präsident der Vereinigten Staaten sein sollte. „Ich weiß nicht, wo und wie ich mich in so einer Welt vorstellen soll.“ dachte sie. Meran hatte auch nicht mehr angerufen. Vroni blieb im Bett liegen. Es läutete an der Tür. Aber sie wollte niemandem aufmachen.

1.  Diese Folge ist den 40.000 Kunden der Bank Tesco in Großbritannien stellvertretend für alle jene gewidmet, die in der digitalen Welt keine Person mehr finden können, die ihnen Auskunft über ihr Schicksal geben könnte. Tesco teilte am Montag mit, daß seit Samstag von 40.000 Konten im Internet Geld gestohlen worden war und daß deshalb das Internet Banking vom Netz genommen werden mußte. Es gab danach keine Möglichkeit, etwas über den Zusand des eigenen Kontos und des eigenen Gelds in Erfahrung zu bringen. Tesco entschuldigte sich. Aber es dauerte bis Montag, bis wenigstens eine offizielle Erklärung zur Lage abgegeben wurde.