11.08.2016
Wahlkampfroman 2016. “So wird das Leben.” 2. Folge.
Wahlkampfroman 2016.
So wird das Leben.
Zweite Folge.[1]
Toni hatte eigentlich nicht zu Chrobath zum Frühstück gehen wollen, aber Vroni hatte ihn gedrängt, es doch zu tun. Sie hatte Toni erzählt, daß Chrobath über den Großonkel im gleichen Ton wie die Maranzkers in Thal über ihren Großonkel geredet hatte. Nur die hätten „der alte Schwuli“ hinter dem Rücken vom Onkel Franz gesagt und nicht so ins Gesicht wie der Chrobath. Die Vroni hatte gemeint, daß der Toni und sie trotzdem alles tun sollten, daß die Situation im Haus für den Onkel Franz nicht noch schwieriger werden sollte, und der Toni war zum Chrobath gegangen. „Es ist doch immer mehr in den Leuten als man sehen kann.“ hatte Vroni gesagt. „Man kann doch nie wissen, ob der nicht eigentlich doch nett ist. Niemand hat gedacht, daß die Biker vom Lechner Beisl sich so um diese syrische Familie kümmern würden.“
Die Vroni hatte aber dann mit dem Toni gar nicht reden können, weil schon um halb acht in der Früh der Installateur in die Wohnung wollte. Dann kam auch noch eine Frau von der Hausverwaltung, die mit dem Installateur nach der Ursache vom Wasserschaden beim Chrobath suchte. Vroni mußte dauernd jemandem die Tür aufmachen und wieder verschließen. Der Onkel Franz hatte wegen der Türschlösser genaue Anweisungen hinterlassen und die Vroni hatte ihn für paranoid gehalten. Nachdem sie den Dr. Chrobath getroffen hatte, verstand sie ihn aber sehr gut, und sie hielt sich daran, alle Schlösser jedesmal zu versperren.
Vroni war müde. Wegen des Meran schlief sie ohnehin kaum, aber in der letzten Nacht war sie gar nicht zum Schlafen gekommen. Sie hatte sich dann auf den Balkon gesetzt und auf die Sonne gewartet. In der Türkei ging es mit den Verhaftungen weiter. Aber in den Zeitungen war darüber nichts mehr zu finden. Am Vortag waren noch die Bilder von Erdogan und Putin in den Zeitungen zu sehen gewesen. Vroni war erstaunt gewesen, daß Erdogan größer zu sein schien als Putin. Jedenfalls hatte es auf den Fotos so ausgesehen, als würde Erdogan auf Putin hinunterlächeln müssen. Und sie hatten gelächelt. Die beiden Männer hatten einander in die Augen gesehen und wie in einem innigen Einverständnis einander zugelächelt. Wie bei einem Liebespaar hatten die Blicke dieser beiden Männer die Welt ausgeschlossen.
Am Morgen war der Himmel dann bedeckt gewesen und die Sonne war hinter den Wolken aufgegangen. Vroni hatte überlegt, ob die Verhaftungen all dieser Personen in beiden Ländern die Voraussetzung war, daß diese beiden Männer einander so innig in die Augen sehen konnten. Als würden diese vernichteten Personen den Grund der Netzhaut bilden, hatte das ausgesehen, dachte sie, und sie wußte gleich, daß sie wieder den ganzen Tag nichts essen können würde.
Die Frau von der Hausverwaltung war dann mit dem Installateur in die Wohnung von Chrobath hinuntergegangen. Der Toni war schon lange wieder weg. Vroni hatte sich aufs Bett gelegt und auf den display von ihrem handy gestarrt. Sie wachte wieder vom Hämmern und Schreien gegen die Wohnungstür auf. Vroni lag einen Augenblick. Warum dieser Mann nicht klingeln konnte. Immerhin schrie er nicht mehr „Gsindel“ und „rausschmeissn“.
Vroni brauchte lange, bis sie zur Wohnungstür kam. Dann waren die vielen Schlösser aufzusperren. Der Mann hörte nicht mit dem Hämmern auf. Vroni wurde wütend. „Was wollen Sie denn noch.“ schrie sie auf ihrer Seite der Tür. „Die Wahrheit.“ schrie der Mann zurück. „Die Wahrheit.“
Vroni konnte nur den Kopf schütteln. Was für eine Wahrheit konnte das sein. Aber kaum hatte sie die Tür aufgesperrt und einen Spalt geöffnet, drängelte der alte Mann sich in die Wohnung herein. „Das kann ja alles nicht wahr sein.“ schrie er. „Das ist eine Verschwörung.“ Vroni versuchte noch, den Mann draußen zu halten, aber es gelang ihr nicht. Chrobath brüllte ihr ins Gesicht, „Ihr steckt alle unter einer Decke.“
Vroni war so müde, daß sie einen Augenblick überlegte, was für eine Decke gemeint sein könnte. Der Mann konnte doch nicht die Decke mit dem braunen Fleck gemeint haben. Aber da war Chrobath schon zur Toilette gestürzt und kroch in dem kleinen Raum auf dem Boden herum. Er legte seine Hand auf den Boden und roch dann an der Hand. Er fühlte hinter der Toilette. „Hier ist nichts.“ sagte Vroni. Sie schaute dem Mann vom Gang aus zu wie der in den Ecken schnüffelte. „Hier ist alles in Ordnung.“ „Es muß hier sein.“ murmelte der Mann. „Hier irgendwo muß die Stelle sein. Von hier kommt dieser Dreck.“ „Aber der Installateur hat nichts gefunden.“ Vroni war empört. Dieser Chrobath sagte das alles mit so einer Gewißheit. „Installateur. Installateur. Den haben Sie wahrscheinlich bezirzt. So macht Ihr das doch. Ihr jungen Frauen. Ihr laßt die Euren Busen anschauen und dafür bekommt Ihr alles.“ Da ging Vroni und riß die Wohnungstür auf. „Gehen Sie bitte.“ rief sie. „Gehen Sie doch.“ Aber der Mann kroch weiter auf dem Boden von der Toilette in alle Ecken. Vroni ging zu ihm zurück und sagte wieder, er solle die Wohnung verlassen. „Verlassen Sie diese Wohnung.“ „Sie haben hier gar nichts zu sagen. Warten Sie nur, bis Ihr feines Onkelchen wieder zurück ist. Jetzt habe ich ihn nämlich.“
Dr. Chrobath kam auf allen Vieren auf den Gang heraus. Er richtete sich mühsam auf und wankte zur offenen Wohnungstür. Vroni schloß gerade die Toilettentür, da hörte sie die Geräusche. Es war ein Klatschen und Knacken. Der alte Mann seufzte laut auf. Vroni rannte zur Tür. Chrobath lehnte gegen den Türrahmen. Der eine Mann war schon fast auf der Stiege. Der andere stand noch vor Chrobath. Er schaute auf. Vroni griff nach Chrobath, damit er nicht umfallen sollte. Der Mann holte mit dem Baseballschläger aus. Er schlug auf Chrobath ein und traf Vronis rechte Hand, mit der sie Chrobaths Schulter festhalten hatte wollen. Chrobath sank zu Boden. „Ihr Deppen. Das war doch für den Kaindlinger gedacht. Das bin doch ich. Ich bin es doch. Der Maximus.“
Vroni stand da. Der Mann mit dem Baseballschläger lief zur Stiege und drehte sich noch einmal um. Er schaute Chrobath erschrocken an. Dabei zog er sich die Zorromaske vom Gesicht. Vroni starrte diesen Mann an. Dann mußte sie sich auf die Fußmatte setzen und sich gegen die andere Seite des Türstocks lehnen. Sie hörte die Männer die Stiegen hinunterlaufen.
Chrobath saß auf dem Boden. Er lachte. „Das hätte doch für den alten Schwuli sein sollen.“ Er lachte wieder. Er bekam Schluckauf. Dann rang er nach Atem. Er gab schnappende Laute von sich. “ Der Kaindlinger. Diese Drecksau.“ flüsterte er und dann lachte er wieder.
Vroni hielt ihren rechten Arm am Ellbogen. Wie ein Baby, dachte sie. „Ich halte meinen eigenen Arm wie ein Baby.“ Sie fühlte gar nichts. „Ist das Ihr Werk.“ fragte sie Chrobath. Der kicherte. „Haben Sie diese Schläger bestellt.“ Chrobath wollte sich aufsetzen. Es gelang ihm aber nicht. Er lag auf dem Boden und schaute zu Vroni hinauf. „Doch.“ sagte er dann. „Es wird doch langsam Zeit, daß wieder eine Ordnung wird.“ Vroni schaute von ihm weg. „Wir haben keine Zeugen.“ sagte der alte Mann. „Sie können mir nichts nachweisen.“ Vroni saß still. „Es wird mir ein Vergnügen sein, daß Sie das jetzt wissen.“ flüsterte der alte Mann. Er lag mit geschlossenen Augen auf den Gangfliesen.
Sie wurden von Frau Fischer gefunden. Frau Fischer kam aus dem Lift und schaute gar nicht in ihre Richtung. Vroni konnte erst nichts sagen oder rufen. Es war ein lauter Seufzer, auf den Frau Fischer sich umdrehte.
Frau Fischer holte die Rettung. Die Polizei kam. Vroni wollte nicht weg. Die Wohnung. Wer würde auf die Wohnung achtgeben. Frau Fischer versperrte die Wohnungstür vom Onkel Franz und kam mit Vroni in der zweiten Rettung mit. Die erste Rettungsmannschaft war mit Chrobath sofort weggefahren. Die Polizisten wollten von Vroni wissen, ob sie die Angreifer erkannt habe. Da mußte Vroni plötzlich weinen. Frau Fischer sagte dem älteren Polizisten, daß sie mit Vroni auf die Wache kommen würde. Jetzt sollte Vroni einmal medizinisch versorgt werden.
„Wieso haßt der meinen Onkel so.“ fragte Vroni auf der Fahrt ins AKH. „Sie meinen den Chrobath und ihr Onkel Kaindlinger. Der Chrobath will doch nur die Wohnung von ihrem Onkel. Der Chrobath braucht Platz für seine Uhrensammlung und da hat er sich vorgestellt, er baut nach oben aus. Aber Ihr Onkel will nicht verkaufen, und warum soll er auch. Nein. Nein. Das ist wie immer. Da geht es um den Platz. Und sonst nichts. Das sind doch immer Vorwände. Solche Haßtiraden. Es würde mich nicht wundern, wenn er den braunen Fleck selber fabriziert hätte.“ Frau Fischer versuchte immer wieder Vronis gesunde Hand zu halten. Aber Vroni konnte gar nicht zuhören. Die Schmerzen in der Hand übertönten mit einem Mal alles. Dann waren die Schmerzen überall und sie bekam keine Luft mehr.
[1] Diese Folge ist der jungen Frau aus Marokko gewidmet, die sich am 29. Juli 2016 selbst verbrannte, nachdem ihre 8 Vergewaltiger gedroht hatten, handyvideos von ihrer Vergewaltigung zu veröffentlichen. Die angezeigten Männer waren bis zur Gerichtsverhandlung aus der Haft entlassen worden. Seit 2011 gibt es in Marokko eine neue Verfassung, die gender equality verspricht.