06.06.2016
Eröffnungsrede Dramatiker*innenfestival.
Marlene Streeruwitz, freiberufliche, politisch engagierte Autorin und Regisseurin, hält für das erste Dramatiker*innenfestival eine Eröffnungsrede zum Thema „Grenzgänge“ in der Sprache, deren Gewaltpotenzial und Auswirkungen auf gesellschaftliche Prozesse. (Dramatiker*innenfestival)
Community. Communities. Das sind Räume. Communities sind private Räume, die sich im öffentlichen Raum aufstellen. Bestimmte gemeinsame Merkmale führen die community zusammen. Personen werden über diese Merkmale zur community vereint. Eine Vereinigung entsteht, die Platz beansprucht. Die vereinigenden Merkmale schließen die Allgemeinheit aus. Ein privater Raum wird eröffnet, in dem diese Merkmale die Zugehörigkeit konstruieren. Dieser private Raum wird wie ein container auf dem längst neoliberal globalisierten Marktplatz aufgestellt. Alle wissen von dem container, der Zutritt wird aber über die Merkmale gemanagt.
Entscheidend für die Demokratietauglichkeit dieser community container sind zum einen die Merkmale und damit der Zutritt zum container und zum zweiten die Begrenzung des containers, der ein Zelt der occupy Bewegung sein kann. Oder ein gemauerter Bunker einer rechten Wehrsportbewegung.
Seit dem 18. Jahrhundert geht es im europäischen Denken um die Fiktion der Gemeinschaft. Nach Jean Jacques Rousseau ist diese Gemeinschaftlichkeit ein Zustand, „der nicht existiert, der vielleicht nie existiert hat, der wahrscheinlich niemals existieren wird“. * Bis heute kann politische Herrschaft sich nur über die Vorstellung einer Gemeinschaftsidee legitimieren. Der moderne Staat beruht auf der Vorstellung eines Gemeinschaftlichen. Die Idee von der Gemeinschaft als Grundlage des Politischen ist in heterogenen Traditionen entwickelt. Das reicht von der Vorstellung einer Gemeinschaft der Gleichen im vertragstheoretischen Modell bis zur Zugehörigkeit Einzelner zum nationalistischen Modell des Volkskörpers bis zur plebiszitären Ermächtigung autoritärer Führerschaft durch die Volksgemeinschaft.
Immer handelt es sich bei diesen Vorstellungen um imaginäre Räume, die in jedem Fall von Grenzen umgeben sind. Damit sind wir bei der Außenbegrenzung der container angekommen. Und. Wieder geht es darum, wie wird die Zugehörigkeit konstruiert. Und. Wie sind diese Grenzen beschaffen, wenn Demokratie zu leben möglich sein soll.
Wenn wir die Programme der an die Macht drängenden identitären Parteien zur Hand nehmen, dann finden wir das vertragstheoretische Modell der Demokratie als Gemeinschaft gleicher aufgesagt.
Das bedeutet, daß es weiterhin um die französische Revolution geht. Für Österreich heißt das, daß die reaktionäre Politik des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und die, der Nachfolgekonstruktion Kaiserthum Österreich, das dann 1867 in die österreich-ungarische Monarchie übergeführt werden mußte. Daß diese Politik weiter betrieben wird. Es sind ja auch immer noch die Grenzen, die im Wiener Kongress 1815 von den Siegern über die französische Revolution und den französischen Nationalismus daraus diktiert wurden, die entlang in der EU die Bruchlinien zwischen dem Modell des vereinten Europas und dem Europa der Vaterländer der Konflikt verläuft. Wir leben immer noch in den damaligen Grenzen. Genauso leben wir in den kulturellen Grenzen, die uns die Dominanz aristotelischer Wissenschaftlichkeiten und biochemischer Reduktionismus setzen. Grenzen, die in der indoeuropäischen Grammatik des Subjekt-Verb-Objekt Satzes wieder so selbstverständlich gesprochen werden können, daß sie nicht ins Bewußtsein aufsteigen müssen. Oder können. Wir leben in einer Inhalt/Form Kongruenz des Reaktionären.
Die Aufsage des Vertragsmodells der Gemeinschaft, in der von der Gleichheit aller ausgehend erst die Menschenwürde gesprochen werden kann. Diese Aufsage ist in der nie gebrochenen und trotzdem immer wieder rekonstruierten Dominanz des Reaktionären logisch. Die sogenannten Flüchtlingskrise ist die ohnehin herbeigesehnte Gelegenheit, aus dem Auftrag zur demokratischen Selbsterziehung nach Zweitem Weltkrieg und Holocaust aussteigen zu können. Das in der Tradition dieses Auftrags handelnde Politestablishment wird zu dummen Kindern gedacht, die brav die Aufträge der Eltern erfüllen und dafür verachtet werden. Politik wird familial gedacht rein emotional begründet. Vernunft ist ein Machwerk einer Elternschaft, die die Kinder an der Ausübung von Sexualität hindern will. Eine sehr kindliche Vorstellung ist das, die der Person selbst keine Handlungsmöglichkeit zuschreibt, sich aber emanzipativ vorkommt.
Nach Jacques Rancière ist jeder Schritt aus dem Raum hinaus, in dem eine Person sich findet, Emanzipation und politisch. „Viele dieser Phänomene waren im Grunde genommen Probleme von Grenzen; es gab den Willen dieser Arbeiter, aus einer Art Gefangenschaft herauszutreten und vollwertige Subjekte einer gemeinsamen Welt zu werden.“
Biologie und Ich.
Die Welt, der eigentliche Körper. Ökologie nur aus dieser Überlegung möglich.
Eigentlich. Eigentlich wollte ich über den Animationsfilm „Frozen“ sprechen, bevor mir das Bändchen über die Philosophinnen in die Hand fiel. „Frozen“ Das ist der fünft eintragsreichste Film der Filmgeschichte an den Kinokassen. Elsa ist als Name für Mädchen zum Favoriten geworden. Für Amazon waren schon die Vorausbestellungen von „Frozen“ der Bestseller aller Zeiten. Die Filmindustrie zerbricht sich den Kopf, wie eine Folge von „Frozen“ aussehen könnte. Ja. Wie ein solcher Erfolg wiederholbar gemacht werden könnte.
Was ich an „Frozen“ so interessant finde, das ist die community, die sich um diesen Film gebildet hat. Diese community ist heterogen und reicht von 4jährigen Mädchen über Collegestudenten zu den Eltern und Großeltern des kleinen Mädchens. Alle Schichten sind in dieser community vertreten. Im Internet können die Mitglieder der community einen Auftritt finden und sich über die Ereignisse in der community informieren.
Diese community baut auf der Ideologie von Disney auf. Walt Disney sagte vor dem House Un-American Activities Committee gegen Personen aus. Er war religiös und betonte das. „Clean, informative entertainment to people of all ages“ Es werden ihm Nazisympathien nachgesagt.
Aus diesem Katalog können wir alle die Auslassungen rekonstruieren, die dann zu dem Erfolg auch noch von „Frozen“ führen. In gewisser Weise könnte die AfD eine Art Themenpark von Disney sein. Es scheint doch darum zu gehen, jede Art von Sexualität wegzulassen, wenn die kindliche Entwicklung von zwei Schwestern eine so große Anzahl von Personen in einem Raum versammeln kann.
Für uns heißt das, daß die Heteronormativität den Raum so gemütlich gestaltet, in dem dann die Rechte des Vaters derart selbstverständlich sind, daß die Nachgereihtheit von Frau und Kind nicht einmal mehr erwähnt werden muß. Die Bedrohung von außen ist dann die Bedrohung dieses Vaters. Mit den nationalistischen Folgen, die wir kennen.
Nun stellen wir selbst mit unseren jeweiligen Projekten communities her. Jedes Publikum ist heute eine community auf Zeit. Aber. Wie können solche communities demokratisch in einem durchaus nicht und mittlerweile gar nicht demokratisch gedachten öffentlichen Raum existieren.
Wie können die beiden Beschreibungsmerkmale der community so gestaltet werden, daß Demokratie, und hie vor allem Geschlechterdemokratie immer mitgedacht werden kann.
Da sind einmal die Zugangskriterien. Die Frage ist also, wie können solche Kriterien formuliert werden und trotzdem keine Einschränkung im Zugang bedeuten. Die zweite Frage – und mir scheint die fast noch wichtigere – ist die Frage der Begrenzung des realen und imaginären Orts, der in den öffentlichen Raum eingelassen hergestellt werden soll.
Dafür wäre die Begrenzung des Selbst als Modell heranzuziehen. Wie wir jeden Tag neu lernen müssen, ist das hautumschlossene Ich eine jener Erfindungen, die zur Natürlichkeit deklariert eine kulturelle Erfindung, die sich wiederum in hegemonialen Hierarchien zeigt. Platonischerweise wird dieses Ich an einen Platz verwiesen, an dem es dann bleiben soll. Das scheint mir die ganze Verfestigung dieses Konstrukts zu sein. Meine Erfahrung ist, daß ich in einem steten Prozess begriffen bin und stets anderen Prozessen ausgesetzt werde, die wiederum meinen inneren Prozess betreffen. Wäre ich platonischerweise auf meinem Platz geblieben und hätte mich damit beschieden, vielleicht hätte ich dann ein sicheres und festes Ego, mit dem sich weniger gefährlich leben ließe. So aber bin ich der Biologie gefolgt und gehe davon aus, daß ich ein autarkes Individuum bin, das aber in die Welt gebunden, mit dieser Welt verbunden bleiben muß.
Das führt uns zu den Grenzen. Erst, wenn ich das Vertragsmodell der Gemeinschaft von Gleichen denken kann, bin ich in der Lage, die Erkenntnis zu akzeptieren, daß der eigentliche Körper die ganze Welt ist und nicht die Bildung von Gemeinschaften der Einzelnen, die hierarchische Ansprüche an die Welt stellen. Ein solches Modell der Repräsentation verfügt über die Beschreibung der Welt ohne einen Wahrheitsbeweis anführen zu müssen. Es gibt keine topologische Fixierung des Körpers.