Werk.

13.09.2000 · Kolumne.

Eine schrecklich nette Familie.

Der Standard. Kommentar der Anderen. 13.09.2000

Wissenswertes zum Weisenbericht aus Weisinnensicht.

Was unrichtig beginnt, nützt immer den Falschen. Die panische Sofortreaktion der EU gegenüber der ÖVP-FPÖ Regierung hat gerade dieser Regierung eine Bühne weinerlich selbstgerechter Selbstdarstellung geschaffen. Ein 7 Monate dauerndes Ablenkungsmanöver ist das nun geworden. Große Auftritte von Beziehungswahn und Verfolgungswahn. Auf österreichisch. Dieses „Ich bin ja gegen die FPÖ in der Regierung, aber die EU. Das geht auch nicht.“ Das war der stärkste Motor der Normalisierung. Schadenfroh sah man dem Schulterschlußgeheische zu. Nestbeschmutzer blieben dann doch nur die, die als solche schon immer bekannt waren. Und mittlerweile sind es da auch einige weniger.

Aber damit ist das eigentliche Problem der österreichischen Situation schon umrissen. Mit solchen Begriffen kann Politik gemacht werden. Mit „Schulterschluß“ und „Österreichliebe“ und „Nestbeschmutzer“ wird jetzt Regierungspolitik gemacht. Nicht an der Oberfläche. Da werden Aussagen, wie letzthin, daß doch Extremismus nichts so Schlechtes sei. Eigentlich. Da werden solche Aussagen achselzuckend in die Narrenecke geschoben. Dort müssen solche Aussagen auch hin, denn sonst müßte man sich mit ihnen beschäftigen.

Allein die Tatsache, daß kaum ein neuer Nestbeschmutzer oder Nestbeschmutzerin auftrat, beschreibt die Wirkung all dieser aufgeladenen Begriffe. Patriotismus. Nation. Liebe zu Österreich. Sozialschmarotzer. Nestbeschmutzer. All diese Begriffe zeigen, daß die eigentliche Auseinandersetzung auf einer ganz anderen Ebene stattfindet. Die geschichtliche Last dieser Begriffe unterlagert den oberflächlichen Gebrauch. Unter der Oberfläche werden dann all die Sinneinheiten wirksam, die „damals“ gemeint waren. Gerade die Medien ließen sich durch die Drohung, „unpatriotisch“ zu sein, einschränken. Die Opposition wollte nicht „unpatriotisch“ agieren und ließ sich einschränken. Die Gegner der Regierung konnten als „unpatriotisch“ abgetan werden. Das Wort „Vaterlandsverrat“ wurde gebraucht. „Unpatriotisch“ war eine fabelhafte Möglichkeit auszugrenzen. Das tat dem Beziehungswahn gut.

Dazu kam dann noch das Gebot, daß man Probleme in der Familie in der Familie löst. Die Kleinfamilie hat bei uns ja monarchistischerseits schöne Tradition. Und wie die geprügelten Ehefrauen und blaugeschlagenen Kinder dann die Geschichte mit dem Treppensturz erfinden müssen, folgen dann doch alle dem Gebot des Verschweigens. Diesem „Halt den Mund, sonst…“. Solche „sonsts“ sind in alle diese Begriffe eingebaut. Und wirken. Unbehagen als Reaktion ist noch ein Zeichen von Gegenwehr. Von Reflektion. Die meisten jedoch werden nur den Gebotsstrukturen dieses „sonst“ gehorsam gehorchen. Wie auch. Es wurde nie anders gelernt.

Und. Die 3 Weisen wollten darüber nichts erfahren. Dazu hätten sie sich mit Sozial- und Politikwissenschaften befassen müssen. Dazu hätten sie etwas vom Sprachklima begreifen müssen. Dazu hätten sie mit Personen außerhalb der Politstrukturen sprechen müssen. Das ist unsicherer Grund. Da hätten sie eine Meinung entwickeln müssen. Das war aber nicht gefragt. Schließlich sollten sie die überschießend emotionale Erstreaktion der EU 14 nach der Regierungsbildung in die Normalität internationaler Verbindungen verwandeln. Diese Normalität beruht auf der Meinungslosigkeit gegenüber der Innenpolitik der anderen. Dahin sollte zurückoperiert werden. Normalisierung auch hier.

In den 7 Monaten der Maßnahmen, die in Österreich Sanktionen genannt werden, ist das weitergegangen und verstärkt worden, was wir Haider & Co verdanken. Die Wiedereinführung von Begriffen, die irgendwie verschwunden waren. Es ist natürlich dieses „irgendwie“ und „verschwunden“, was diesen Gebrauch geradezu herausforderte. Die österreichische Kultur vergeßlicher Erinnerung ist dafür Voraussetzung. An der Oberfläche wird alles vergessen, ja geleugnet. Gleichzeitig werden die in diesen Begriffen verborgenen Aufträge erfüllt. Ja. Müssen erfüllt werden und erfüllen sich. Daß daraus dann auch noch eine befriedigende Bestätigung des arroganten Minderwertigkeitsgefühls im Österreichischen bezogen werden kann, beschreibt die Dauerhaftigkeit solcher Strukturen. Daß der Widerstand sich Widerstand nennt, ist so als Antwort im subliminalen Umfeld dieses Sprachgebrauchs zu verstehen. Sprachloser Widerstand ist da eine Art erste Hilfe Maßnahme. Das Donnerstagsgehen darin auch eine Möglichkeit dieser Sprache zu entgehen. Die Frage ist doch, wie kommt die österreichische Gesellschaft zu einer politischen Kultur.

Erschienen als „Eine schrecklich nette Familie“ am 13. September 2000 in Der Standard