Werk.

25.07.2024 · Texte. Aller Art.

Es ist nie zu spät. Wahlkampfroman 2024. Kapitel 1.

25.07.2024

Die Wahlkampfromane stellen die Fragen zum Politischen auf literarische Weise und können so beschreiben, wie Politik und Wirtschaft in die Lebenswirklichkeiten der einzelnen Personen eindringen. 

Jeden Donnerstag erscheint hier ein neues Kapitel.

 

Es ist nie zu spät.
Wahlkampfroman 2024.

 

 

Kapitel 1.

„Es ist viel zu spät. „Tilly[1] stellt die Butter in den Eiskasten zurück. „Das hätte vor 30 Jahren begonnen werden müssen.“ „Aber wir müssen uns trotzdem eine Zukunft vorstellen können.“ Christine[2] geht zum Eiskasten und holt die Butter wieder heraus. „Ein Verkehrskonzept zwischen Wien und Niederösterreich und hundertausend Autos müssen nicht jeden Tag benutzt werden. Aber diese ÖVP Tante da mit ihren rechten Buberln. Und die Pendlerpauschale? Die sollte mit Nachhaltigkeit verbunden sein. Das ergibt Zukunft.“ „Zukunft? Zukunft?“ murmelt Hannes.[3] Er kommt im Bademantel in die Küche geschlurft. „Schneid dir doch die Butter ab, die du brauchst und stell sie wieder in den Eiskasten. Wenn das der Tilly so wichtig ist.“ sagt er zu Christine. „Die Butter ist seit vorigem Jahr um fast 17 % teurer geworden. Warum muss ich das immer wieder sagen?“ Tilly schiebt Christine die Butter zu. „Der Hannes hat schon recht.“ sagt sie. „Wenn ich immer nur so viel Butter nehme, wie ich brauche, dazu muss die Butter vor mir stehen.“ Christine setzt sich und kratzt mit dem Messer Butter ab und streicht sie auf ihr Brot. „Das ist viel sparsamer.“ Tilly verdreht die Augen. „Bei der Hitze? Ich mach mir einen Kaffee. Wer braucht noch einen.“ Hannes hebt die Hand und geht daran, sich seinen Haferflockenbrei zu kochen. „Der Marwan ist…?“ Hannes löffelt Haferflocken in das Reindl mit Wasser und schaut die beiden Frauen fragend an. Christine kratzt an der Butter. Tilly sucht eine Kaffeekapsel aus. „Was kann man denn tun?“ fragt Hannes. „MANN gar nichts.“ sagt Christine. „Er war halt schon überall. Und wenn die wirklich zwei Stationen von der Psychiatrie im Sommer schließen. Im AKH. Er wird nicht aufgenommen. Aber das bräuchte er.“ Tilly hat wieder Wasser in den Kaffeeautomaten eingefüllt. „Nimmt er seine Medikamente?“ fragt Hannes. Er rührt seinen Brei auf dem Herd. „Glaubt ihr, es hat etwas damit zu tun, dass er Palästinenser ist. dass sie ihn immer wegschicken?“ fragt Christine. Tilly kommt an den Tisch. Sie nimmt die Butter und stellt sie in den Eiskasten. „Eigentlich kann man ihn nicht hier wohnen lassen.“ sagt Hannes. „Wirklich.“ „MANN kann schon wieder gar nichts tun.“ faucht Christine. Sie patzt sich einen zweiten Löffel Marmelade auf das Brot ohne Butter. „Das kann schon sein.“ Tilly zuckt mit den Achseln. „Er bräuchte einen stationären Aufenthalt, traumatisiert wie der ist. So. Die schicken ihn von einem Spital zum anderen. Denen ist der lästig. Nicht das, was ich mir unter ärztlicher Hilfe vorstelle.“ „Könntet ihr leiser sein?“ Samira[4] kommt gähnend in die Küche. „Da hast du gleich einen Kaffee.“ Tilly reicht ihr die Tasse, nach der Hannes gegriffen hat. Tilly macht wieder Kaffee. Samira nimmt den Kaffee und setzt sich an den Tisch. „Geht es wieder um den Marwan?“ fragte sie. „Aber sag zuerst. Wie war es gestern mit deinen Eltern?“ Samira wendet sich an Christine. Christine verdreht die Augen. Sie setzt sich zurecht. „Meine Tochter! Meine Tochter nennt sich nicht Kommunistin!“ macht sie ihren Vater nach. Alle lachen. Tilly stellt Hannes einen Kaffee auf den Tisch. „Der Kaffeepreis ist auch schon wieder um 7% gestiegen.“ „Ach, Tilly!“ sagen alle im Chor. „Ja. Das ist Eure eigene und ganz spezielle Mindestpensionistin. Eine einzige Inflationsstatistik.“ sagt Tilly und macht einen Knicks dazu. „Und was hast du gesagt?“ Samira wendet sich wieder an Christine. „Ich bin weggegangen. Der wird sich schon gewöhnen daran, dass ich da mitmache.“ meint Christine und nippt an ihrem Wasser. „Dein Vater glaubt immer noch, dass deine Mutter zu ihm zrückkehrt? Dass er und sie wieder? Ich meine. Was sagte denn deine Mutter dazu?“ stellt Tilly fest. Christine beißt in ihr butterloses Marmeladebrot und schaut nachdenklich. Hannes leert seinen Haferflockenbrei in einen Teller und schneidet eine Banane hinein. „Ich gehe heute einkaufen. Gibt es die Liste schon?“ fragt er. „Der Marwan muss ausbaden, was die da in der Pandemie vergeudet haben.“ Samira rührt ihren Kaffee um. „Die Mama findet das richtig. Das mit meiner Politik. Und ich soll mit dem Franz zusammenziehen. Warum warten, hat sie gesagt.“ Christine lacht. „Da hat sie recht. Schaut euch an. Ihr seid alle um die 30 und keiner von euch kann sich eine Familie leisten.“ Tilly macht den nächsten Espresso. „Das ist kein Wunder. Wir alle baden das aus, was die da verschleudert haben. Mit ihrer Überförderung von ihren Spezis. Mit dieser Cofag.“ sagt Hannes und stellt seinen Teller auf den Tisch. „Wenn der eigene Staat die Milliarden verjubelt und damit die Inflation auch noch verstärkt? Und wir sind brav zu Hause gesessen, während die unser Geld unter sich aufgeteilt haben. “ Tilly holt ihre Tasse Kaffee vom Kaffeeautomaten. „Diese Cofag Sache. Das ist schon… Überforderung durch Überförderung.“ Christine schüttelt den Kopf. „Ich könnte brüllen vor Wut.“ seufzt Tilly. „Bis das Geld da von der Wirtschaft zurückgezahlt worden ist? Da ist das doch längst nichts mehr wert.“ „Überförderung. Ich möchte auch einmal überfördert werden.“ Samira schaut traurig in ihren Kaffee. „Wieviele Milliarden waren das?“ fragt sie. „400 Millionen. So viel ich weiss. Kurz und Blümel.“ stellt Christine fest. „Das klingt wie Laurel und Hardy.“ meint Hannes. Christine geht zum Eiskasten und holt die Butter heraus. „Ich kann kein Marmeladebrot ohne Butter essen.“ sagt sie. „Willst du die Butter oben auf die Marmelade streichen?“ fragt Samira. „Und die OMV hat 5 Milliarden Übergewinn aus der Energiekrise.“ fügt Christine hinzu. „Eben.“ sagt Samira. „Die Butter oben auf die Marmelade.“ „Aber da war schon Butter drunter.“ stellt Hannes fest. „Sehr viel Butter.“ sagt Tilly. „Stell dir vor. Das als verfügbares Einkommen.“ seufzt Samira. „Na. Dann verstaatlicht doch wieder. Der Macron hat das ja auch gemacht.“ meint Tilly. Christine grinst. „Was wird mein Herr Papa dazu sagen?“ „Kinder. Ich muss langsam weiter.“ seufzt Hannes. Er steht auf. Schwemmt seinen Teller ab und stellt ihn in den Geschirrspüler. „Willst du nicht noch einmal schlafen gehen?“ fragt Tilly Samira. Die schüttelt den Kopf. „Ich muss einspringen. Zwei haben wieder Covid.“ „Hört das nie auf?“ fragt Christine.

 

[1] Tilly S. Mindestpensionistin, die die Zimmer ihrer großen Wohnung in der Kaiserstraße vermieten muss, um die erhöhte Miete zahlen zu können. Sie ist Autorin und verdient seit der Pandemie nichts mehr.

[2] Christine K. Architektin in Bildungskarenz.

[3] Hannes S. Bankangestellter, der mittlerweile Taxi fährt. Er spart auf eine Weltreise.

[4] Samira Z. Sie wurde als Buchhändlerin entlassen und machte eine Umschulung zur Altenpflegerin.

01.08.2024 · Texte. Aller Art.

Es ist nie zu spät. Wahlkampfroman 2024. Kapitel 2.

01.08.2024

Die Wahlkampfromane stellen die Fragen zum Politischen auf literarische Weise und können so beschreiben, wie Politik und Wirtschaft in die Lebenswirklichkeiten der einzelnen Personen eindringen. 

Jeden Donnerstag erscheint hier ein neues Kapitel.

 

Es ist nie zu spät.
Wahlkampfroman 2024.

 

 

Kapitel 2.

Tilly hält einen Monolog.

Tilly sitzt am Küchentisch. Sie hat Papiere vor sich. Liest.

Christine kommt in die Küche. Sie geht zum Eiskasten. Sie holt Käse heraus. Cornichons. Sie klappt das Butterfach auf und zu. Zieht die Gemüseladen auf und schaut hinein. „Wenn du die Butter suchst, dann ist das umsonst.“ murmelt Tilly, während sie sich Notizen macht. „Aber ich habe das doch auf die Liste geschrieben.“ Christine knallt die Packung Käse auf den Tisch. „Da ist etwas wirklich…“ Sie setzt sich. „Der Hannes. Der hätte…“ Christine seufzt. Sie schält den Käse aus der Packung und schneidet sich ein Stück ab und beißt in den Käse. „Wie war Berlin?“ fragt sie Tilly. Tilly zuckt mit den Achseln und schreibt weiter. „Störe ich dich?“ fragt Christine und bleibt sitzen. „Ich will dich nicht stören. Aber ich kann nicht länger lernen. Einfach nicht. Und ich muss mit jemanden reden.“ Tilly nickt und sucht in den Papieren herum. „Weißt du, dass es mehr als 1000 Euro kostet, die Staatsbürgerschaft zu beantragen. Da kommt dann noch eine Landesverwaltungabgabe dazu.“ Sie öffnet ihr Handy und sucht. „Wieviel ist das denn in Wien? Nur beantragen. Weißt du. Bekommt man die eigentlich zurück, wenn der Antrag abgelehnt wird? Doch eher nicht. Das ist ganz schön teuer.“

Tilly schaut auf ihr Handy. Christine isst Käse. „Willst du nicht wenigstens ein Brot dazu essen?“ fragt Tilly. Christine schüttelt den Kopf. „Ohne Butter wird das nie ein Käsebrot. Das ist dann ein Brot mit Käse, aber kein Käsebrot. Wie Berlin war?“ Christine fischt Cornichons mit den Fingern aus dem Glas, schaut aber, ob Tilly sie dabei beobachtet. Tilly schaut aber aufs Handy. Dann setzt sie sich auf. Sie starrt Christine lange an. Dann blickt sie durch das Küchenfenster in den Hof hinaus und schüttelt den Kopf. „Berlin ist schon toll.“ Sie sucht weiter auf ihrem Handy. „Es gehen halt alle meine Freunde gerade in Pension. Das ist komisch. Die nächste Runde werden dann die Begräbnisse sein. Nicht schön.“ „Aber du. Dich trifft das doch nicht. Schreiben. Das kannst du immer.“

Die Wohnungstür fällt laut zu. Christine springt auf und schreit. „Wo ist die Butter?“ Hannes ruft aus dem Vorzimmer. „Ich gehe erst einkaufen. Was ist denn los?“ Er taucht in der Küchentür auf. „Haben wir Panik? Butterpanik?“ „Mach dich nicht lustig. Manche Leute wollen eben Butter essen. Nur weil du Veganer bist.“ Christine wickelt den Käse in die Packung und legt den Käse in den Eiskasten zurück. „Wusstest du, dass es so viel kostet, alle diese Anträge zu stellen? Für die Staatsbürgerschaft und so. Und dann ist es gar nicht sicher, ob du einen positiven Bescheid bekommst.“ erzählt sie Hannes. Der bleibt in der Tür stehen. „Ist das für den Marwan?“ fragt er Tilly. Tilly nickt. „Der Marwan hatte ja einen palästinensischen Pass, aber der wird nur von den Staaten anerkannt, die Palästina anerkannt haben. Österreich hat das nicht. Also ist er staatenlos. Nein. Nein. Er hat den Aufenthalt und er muss halt einreichen. Er ist ja lange genug da. Wir müssen das schaffen. Wir sind wieder bei dieser Burschenschaft fast nicht vorbeigekommen. Und ich verstehe es. Die sind da zu einem Kommers hingegangen. In der vollen Wichs oder wie das heißt. Und mir wird ja auch schlecht, wenn ich diese Handschuhe mit den hohen weißen Stulpen sehe. Ich weiß nicht warum, aber mir wird elend davon.“ „Aber er wird vorbei gehen müssen.“ sagt Hannes. Er schaut Christine böse an. „Kommst du mit? Einkaufen?“ Christine steckt das letzte Stück Käse in den Mund. Tilly wirft den Stift weg und steht auf. „Jetzt sage ich euch einmal etwas. Ja. Ich will euch etwas sagen. In Berlin. Ich war ja da nur kurz. Aber ich habe da einen Germanisten getroffen. Wir sind seit Tübingen miteinander befreundet. Der hat sich habilitiert. Mittlerweile. Der hat geheiratet und zwei süße Kinder. Der hat aber einen japanischen Nachnamen. Und statt dass sich die Germanistikinstitute darum reißen, jemanden mit so einem vollkommen anderen Kulturhintergrund hören zu wollen, schreibt er seit einem halben Jahr Bewerbungen. Aber. (Sie holt tief Luft.) Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich das aufregt. Also. Der hatte eine Doppelstaatsbürgerschaft. Eine japanische und eine deutsche. Und er hat die japanische Staatsbürgerschaft zurückgelegt. Und wisst ihr warum? Nein. Das könnt ihr euch auch nicht vorstellen. Weil wir das alle nicht denken müssen. Weil wir alle so sicher herumsitzen. Ich bin hier geboren. Mir kann die F nichts anhaben mit ihrer Autochthonie. Obwohl. Ganz sicher wäre ich auch nicht. Meine Großmutter kommt aus Ungarn. Wenn die die Großeltern in die Rechnung hineinnehmen, wer hier leben darf. Dann können die ganz Österreich remigrieren. Aber der arme Sasuke. Ihr könnt euch nicht vorstellen, warum der das gemacht hat. Der hat mir gesagt, er will nicht von seinen Kindern getrennt werden, wenn die AfD an die Macht kommt. Der gibt also einen Teil seiner Identität auf. Einen Teil seiner Möglichkeiten, weil er Angst hat. Ist das bei uns auch schon so weit? Ich meine. Der Marwan. Der hat den Aufenthalt. Der sollte österreichischer Staatsbürger werden. Der ist ja staatenlos. Palästinenser sind ja staatenlos, weil ihr Staat nicht anerkannt worden ist. Österreich hat Palästina jedenfalls auch nicht anerkannt. Also der Marwan. Der hat nichts, was er aufgibt. Ich meine. Kann einer Staatenlosigkeit aufgeben? Kann man etwas, was einer nicht hat. Kann das aufgegeben werden? Doch eher nicht. Der hat also gar nichts, was er da einsetzen kann. In diesem Spiel, das so kindisch ist. (Sie spricht wie ein ganz kleines Kind.) „Ich gebe mein Japan auf, dafür bekomme ich Deutschland, und ich will nur dir gehören, liebes Deutschland und bitte tu mir nichts.“ (Spricht wieder normal.) Kindergarten ist das. Und ich weiß, was gesagt werden wird. Da müsse schon das gesamte System zusammenbrechen, bis so etwas passieren kann. Aber erinnert ihr euch daran, wie das mit den Türken in Österreich gemacht wurde? Wie denen die größten Schwierigkeiten gemacht wurden, wenn die beide Staatsbürgerschaften besessen haben? Da ging es um Immobilienbesitz und das ist alles im Sand verlaufen. Obwohl. Wissen wir es? Schreiben alle diese liberalen Kommentatoren über solche Kleinigkeiten? Und wenn es nur eine Person trifft? Ich bin dagesessen. Der Sasuke hat weitergegessen. Ganz normal. Das war für ihn eine ganz normale Überlegung. Ich habe nicht mehr essen können. Wenn Personen sich diese Angelegenheiten so überlegen? Und du. Hannes. Nein. Es reicht nicht, auf Österreich zu schimpfen. Auf die Österreicher. Oder sich lustig zu machen. Du machst dich doch immer lustig über Österreich und die Österreicher und gehst extra noch in das Karikaturmuseum in Krems und schaust dir die Deix-Österreicher an und freust dich. Aber Ironie. Das ist doch nur dazu da, besonders schlimme Augenblicke zu überstehen. Oder heißt das, dass du in jedem Augenblick in so einem schlimmen Augenblick bist, weil du ein Österreicher bist, der in Österreich lebt. Du hast ja recht. Das ist mir in Berlin wieder so aufgefallen. Die Deutschen, die haben ihr Deutschland und sind total beschäftigt damit, weil sie es jetzt doch nicht zur Großmacht gebracht haben. Und ich finde das richtig. In Wien. Österreich? Wir sind nur zynisch. Wir wissen doch ganz genau, wie wir belogen werden. Wir erwarten doch gar nichts anderes. Und dann freuen wir uns, wenn wieder so ein Untersuchungsausschuss unsere Erwartungen bestätigen. Wir lesen, dass Russland besiegt werden wird und wissen, dass längst alles anders läuft. Wir erwarten die Regierung mit der F und werden wieder demonstrieren gehen. Passiv-aggressiv. Wir sitzen passiv-aggressiv herum und lassen uns unser Schicksal erfüllen und das Schlimmste war, dass der Sasuke das ganz selbstverständlich genommen hat. Ich meine. Das werden die Deutschen doch nicht machen. Die AfD die Leute remigrieren lassen. Aber der bereitet sich vor. Und der Marwan wird jeden Tag retraumatisiert. Der dürfte gar nichts denken, weil ihm nur die Tragödie einfallen kann. Die Samira wird jeden Tag retraumatisiert, weil sie in jedem Augenblick an den bosnischen Krieg erinnert wird, weil jeder Krieg eben Krieg ist. Jede jüdische Person wird jeden Tag retraumatisiert, weil es um Vernichtung geht. Wir alle werden jeden Tag wieder traumatisiert, wenn jetzt die NEOS bootcamps für jugendliche Straffällige verlangen und der Staat noch sadistischer gemacht werden soll. Wir müssen einen Weg finden, uns wichtig zu machen.“ „Sag ich ja.“ sagt Christine. „Und ich komm mit, damit du nicht wieder die falschen Sachen nach Hause bringst.“ Sie nimmt eine Einkaufstasche vom Haken an der Küchentür. Hannes grinst. Die beiden gehen. Tilly seufzt.

07.08.2024 · Texte. Aller Art.

Es ist nie zu spät. Wahlkampfroman 2024. Kapitel 3.

07.08.2024

Die Wahlkampfromane stellen die Fragen zum Politischen auf literarische Weise und können so beschreiben, wie Politik und Wirtschaft auf die Lebenswirklichkeiten der einzelnen Personen eindringen.

Jeden Donnerstag erscheint hier ein neues Kapitel.

 

Es ist nie zu spät.
Wahlkampfroman 2024.

 

 

Kapitel 3.

„Komm. Wir müssen uns in die Küche setzten.“ Tilly kommt in die Küche. Sie hält die Tür für Andrea[1] auf.  Andrea kommt herein. Sie schaut Tilly fragend an. „Ja.“ sagt Tilly. „Wir haben den Marwan ins Wohnzimmer getan. Der braucht ein großes Zimmer. Weißt du. Die Küche reicht ja.“ Andrea setzt sich in die Ecke bei der Tür zum Kabinett hinter der Küche. Sie schaut bedeutungsvoll auf diese Tür. „Es ist am ruhigsten da hinten.“ sagt Tilly. „Und bis der Marwan einen Therapieplatz hat. Da geht das schon alles. Weißt du. So eine schwere Angststörung. Das dauert doch bis zu zwei Jahren, dass es besser wird. Da ist es ein Hohn, dass einer so lange auf einen Therapieplatz warten muss. Aber die sperren ganze Abteilungen in der Psychiatrie im Sommer zu. Na ja.“ Tilly macht sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. „Du auch?“ fragt sie. Andrea schüttelt den Kopf. Lacht. „Vielleicht glaubt die AKH Führung, dass die Psychosen auch Urlaub machen. Wenn du bedenkst, dass solche Supernarzisten von Medizinprofessoren immer nur von sich ausgehen, könnte so ein Glaube sich allen Ernsts etablieren. Weil sie im Urlaub sind, ist alles andere auch dort.“ „Vom Wohnzimmer kann man auf die Straße sehen. Weisst du. Diese Lichtschächte. Da muss die Erinnerung ans Gefängnis zurückkommen.“ Tilly schaltet die Kaffeemaschine ein. Andrea schreit durch das laute Röcheln der Maschine hindurch. „Apropos zurückkommen. Kennst du schon die Geschichte von der Ulli? In Niederösterreich?“ Tilly wartet ab, bis ihr Espresso fertig ist. Sie geht mit dem Espresso an den Tisch. „Wasser?“ fragt sie Andrea. Die steht auf. Sie holt sich ein Glas und füllt es an der Wasserleitung. „Es gibt auch Mineralwasser.“ Tilly deutet auf den Eiskasten. Andrea setzt sich wieder an den Tisch. „Es waren wieder weniger beim Hiroshima Gedenken. Meinst du nicht? Aber die Ulli. Ja. Sag. Was ist da wieder los?“ Andrea nimmt einen Schluck Wasser. Sie schaut nachdenklich. „Also.“ Sie steht auf und füllt ihr Glas wieder. „Also der Hintergrund ist, dass dieser Pernkopf Landeshauptmann werden will und deswegen alles so gemacht wird, dass es die F nicht stören kann. Die Kulturpolitik wird der F so zugeschoben. Anpassung als Gleitmittel. Weißt du. Da werden nicht irgendwelche Programme verkündet oder Absichten kundgetan. Die Ulli ist mit ihrem Philosophikum einfach zum Verschwinden gebracht worden und niemand wird es merken. Du weißt doch. Die Ulli hat das jahrelang gemacht und das ist ein guter Teil von ihrem Einkommen. Und das war absolut erfolgreich. Ich war selber da. Da ist es darum gegangen, wie wir uns in Zukunft ernähren wollen. Das war richtig toll. Da waren Leute aus der Landwirtschaft, der Öknomie, Philosphie und aus den communities. Für hier war das exotisch. In London läuft eine Ausstellung unter genau diesem Titel in Kew Gardens, die das ganze Jahr zu sehen ist und immer wieder erneuert wird. So eine Veranstaltung abzuwürgen. Das ist eine Anpassungsleistung an die F. Weißt du. Da schmiegt die ÖVP sich so mühelos an die F. Beim Kanzler Kurz hat das noch message control geheißen. In Niederösterreich. Da schweigen die einfach. Das ist seit 2023 eine Koalition ÖVP/FPÖ des schweigenden Einverständnisses. Die Gerüchte über die Landeshauptmannfrau lassen darauf schließen, dass sie nicht mehr antreten wird. Oder besser kann. Deshalb rüsten die Nachfolger auf. Und da hat halt so eine kritische Veranstaltung keinen Platz. Die sagen, dass das Publikum zu alt war. Das sollten die Oldies in Niederösterreich wissen. Finde ich.“ Andrea steht auf und holt sich eine Flasche Mineralwasser aus dem Eiskasten. „Aber das ist doch das Problem. Oldies. Das sind immer die anderen. Die beziehen das nicht auf sich. Im Gegenteil. Ich kann mir vorstellen, dass so eine Meldung die unterliegenden Rassismen von den Katholen herzlich bestätigen. Die wählen mit Lust ihre eigene Abschaffung.“ Tilly lacht. „Das kannst du doch am Bauernbund sehen. Die Bauern wählen die ÖVP, die sie dann abschafft.“ „Jetzt wählen sie die F.“ meint Andrea. „Das hat die ÖVP davon. Aber ich bin sicher. Am Ende sind die alle tief befriedigt, wenn so rechts gewählt wird. Die Selbstauslöschung. Die lernt doch so eine katholische Person von Anfang an. Wenn nur die anderen auch vernichtet werden.“ Tilly nippt an ihrem Espresso. „Was kann die Ulli denn machen?“ „Die wirkliche Gemeinheit ist nämlich, dass sie die Ulli noch Vorschläge machen haben lassen. Und du weißt. Die Ulli macht das dann echt genau. Drei Themen hat sie umsonst ausgearbeitet. Wissenschaftsskepsis und so. Dabei hatten die die Abschaffung schon im März beschlossen. Gesagt haben sie es ihr Ende Juli. Das ist so verächtlich. So selbstverständliche Verachtung ist das.“ Andrea gießt sich Mineralwasser nach. „So eine frei beschäftigte Person ist ja völlig ausgeliefert.““Aber da hat es doch Mitveranstalter gegeben?“ fragt Tilly. „Was willst du von der Universität oder dem Stift Herzogenburg. Die nehmen so eine Entscheidung hin. Solche Entscheidungen müssen hingenommen werden. Das geht so nebenbei. In diesen vielen kleinen Dingen gibt es keinen Einspruch. Ich bin sicher, dass in ganz Österreich gerade wieder viele solche kleine Aktivitäten wegentschieden werden. Und ist es nicht interessant, wie so christlich-katholische Politik immer den christlich-katholischen Mangel herstellen muss. Das können die Sozialdemokraten natürlich auch noch.“ Christine kommt in die Küche herein. „Sag ich doch immer. Sozialdemokratie reicht nicht.“ „Du bist ein Kindskopf.“ sagt Tilly. „Willst du einen Kaffee?“ „Deine Rede beim Hiroshima Gedenken war klasse.“ prostet Andrea Christine mit dem Wasserglas zu. „Wir sind ja auch die einzigen, die den Frieden wirklich im Parteiprogramm haben.“ lacht Christine.

[1] Andrea G., Psychotherapeutin. Sie war in der Gewaltprävention tätig, ist pensioniert und arbeitet frei. Friedensaktivistin.

14.08.2024 · Texte. Aller Art.

Es ist nie zu spät. Wahlkampfroman 2024. Kapitel 4.

14.08.2024

Die Wahlkampfromane stellen die Fragen zum Politischen auf literarische Weise und können so beschreiben, wie Politik und Wirtschaft in die Lebenswirklichkeiten der einzelnen Personen eindringen. 

Jeden Donnerstag erscheint hier ein neues Kapitel.

Es ist nie zu spät.
Wahlkampfroman 2024.

 

Kapitel 4.

Tilly räumt den Geschirrspüler aus. Sie geht in der Küche herum. Sie schwenkt ein Geschirrtuch, um ihren Argumenten Nachdruck zu verleihen. Christine und Hannes sitzen am Tisch und schreiben an der Einkaufsliste. „Und wie wollt ihr ein Gefühlsleben haben?“ Tilly wirft das Besteck laut klappernd in die Bestecklade. „Ich meine. Woher bekommt ihr euren emotional support? Es ist doch alles am Ende und zusammengebrochen. Es ist doch nicht gelungen, die Ehe als den Ort dafür zu erhalten. Also die Kleinfamilie ist am Ende. Seit den Scheidungsgesetzen in den 70er Jahren gibt es die „Mutter“ in Österreich nur noch als Hobby, wenn die Frauen die Kinderzeiten nicht angerechnet bekommen und kein Recht auf finanzielle Unterstützung mehr haben. Wir sind von der ÖVP und der SPÖ in die Irre geführt worden. Die Dohnal wollte die Frauen in die Gewerkschaft einschleusen und die ÖVP wollte die Muttermärtyrerin erhalten. Beide Parteien haben sich nur Mangelsituationen für die Frauen vorstellen können. Damals hat das wie Fortschritt ausgesehen. Heute wissen wir, dass wir total in die Irre geführt wurden. Beide Parteien haben mit unserer Selbstaufopferung gerechnet. Und zu Recht. Aber mit wieviel Unglück. Und was das für die Kinder heißt. Und deshalb ist es so wirksam, wenn die F wieder die alte Aufteilung in richtige Männer und richtige Frauen herausholt. Diese Aufteilung entspricht ja dann am Ende der hierarchischen Realität in Bildung und Wirtshaft.“ Christine und Hannes schauen einander an. Sie verdrehen die Augen. „Was brauchen wir noch?“ fragt Christine. „Butter?“ fragt Hannes und grinst. „Die F ist doch dazu da, den gehorsamen Bürger an die Kapitalisten zu liefern, der wiederum seine Frau und die Kinder im Zaum hält.“ Christine geht zum Eiskasten und schaut lange hinein. „Äpfel sind nie genug da.“ sagt Hannes. Christine beugt sich weit in den Eiskasten und schaut in die Gemüselade. „Weil die Hierarchien der Wirtschaft in der Familie gelernt werden müssen. Antifeminismus war immer schon nur die Zuarbeit für den Erhalt der Eliten.“ „Bitte. Mach den Eiskasten zu. Bei dieser Hitze. Ich werde heute einen Ventilator kaufen. Ja. Ich weiß. Die Stromrechnung. Aber es geht wirklich nicht mehr.“ Tilly hat sich in ihren Armsessel geworfen und fächelt sich mit dem Geschirrtuch Kühlung zu. „Die Ehe hat doch nie für den emotional support gesorgt. Wie du das nennst.“ Hannes zeichnet Äpfel auf den Einkaufszettel. „Wow.“ sagt Christine in den Eiskasten hinein. „Mister Progressive.“ Samira kommt herein. „Irgendwann zeige ich diese Vermittlungsagentur an. Die haben schon wieder einer Kollegin die Reisespesen viel zu hoch abgezogen. Aber die Arbeitszeiten haben sie sie nicht einhalten lassen.“ „Die Altenpflege.“ ruft Tilly aus. „Na wunderbar wie die Ausbeutung offenkundig wird und alle zuschauen. Bei den Kreidls ist heute um 4 Uhr in der Früh die neue 24-Stunden Hilfe angekommen. Na, die hat fertig ausgeschaut. Und die Maria ist gleich wieder weg. Die muss jetzt 14 Tage ihre Familie betreuen und dann darf sie wieder herkommen. Zeig sie an. Samira.“ „Das kann ungemütlich werden.“ Samira geht zum Fenster und schaut versonnen hinaus. „Wir passen auf dich auf, wenn die Pflegemafia hier auftaucht.“ Hannes steht auf und holt Stofftaschen von einem Haken. „Das tun wir.“ bestätigt Tilly. „Warum macht ihr keine Gewerkschaft?“ fragt Christine. „Immer alles von vorne.“ seufzt Tilly. „Aber so, wie es jetzt ist. So geht es ohnehin nicht. Ich bekomme keine Kinder unter diesen Umständen.“ Christine nimmt Hannes eine Stofftasche aus der Hand. „Fällt euch noch etwas ein, was wir brauchen könnten?“ fragt sie. „Klopapier. Klopapier immer.“ Tilly schiebt eine Schatulle in die Tischmitte. „Da. Das Geld. Es haben alle eingezahlt. Ist das nicht erstaunlich?“ lacht sie. „Wenn die Männer sich endlich emanzipieren würden.“ Samira setzt sich auf die Küchenbank. „Wieso lassen die sich so manipulieren. Ich meine. Andrew Tate. Der verführt sie ja auch wieder nur in eine Illusion.“ „Aber du weißt doch. So ein Mann. So ein richtiger Mann. Der hat keine Sprache. Der kennt nur Gewalt, mit der er sich den Sex verschafft.“ Christine schwenkt die Einkaufstasche und will gehen. „Sei nicht schon wieder sexistisch.“ Hannes faltet den Einkaufszettel und steckt ihn in seine Stofftasche.  „So lange wir nicht eine Wirtschaft ohne Hierarchien haben, werden die Männer keine Gefühle haben können.“ Christine geht ins Vorzimmer. „So pauschal? Kann man das so pauschal sagen.“ Hannes nimmt Geldscheine aus der Schatulle.  „Mann ohnehin nicht.“ ruft Christine ungeduldig aus dem Vorzimmer. „Und was willst du wirklich machen?“ fragt Tilly Samira. Samira zuckt mit den Achseln. „Allein. So einzeln. Da geht gar nichts.“ Tilly seufzt. Dann steht sie auf und läuft ins Vorzimmer. Die beiden sind aber schon weg. Tilly kommt zurück. „Wie blöd. Der Marwan wollte Weintrauben haben. Du. Da muss ich auch noch schnell gehen. Es ist so ein Ereignis, wenn der Marwan sich was wünscht. Weißt du.“

22.08.2024 · Texte. Aller Art.

Es ist nie zu spät. Wahlkampfroman 2024. Kapitel 5.

22.08.2024

Die Wahlkampfromane stellen die Fragen zum Politischen auf literarische Weise und können so beschreiben, wie Politik und Wirtschaft in die Lebenswirklichkeiten der einzelnen Personen eindringen. 

Jeden Donnerstag erscheint hier ein neues Kapitel.

Es ist nie zu spät.
Wahlkampfroman 2024.

Kapitel 5.

Hannes stellt Nudelwasser auf. „Wer isst aller mit?“ Er schaut sich um. Er geht zur Tür. Schaut hinaus und ruft, „Wer aller mitessen will.“ Er geht zur Wohnzimmertür. „Marwan? Ob du mitessen willst.“ Christine macht ihr Tür auf. „Der ist mit der Tilly bei einer Lesung. Du weißt schon. Standing together. Die machen einen Abend im WUK. Jüdische und palästinensische Personen gemeinsam. Gegen den Wahnsinn.“ „Ah.“ sagt Hannes. „Warum sagt ihr mir das nicht?“ „Du. Ich bin ja auch nicht da. Ich muss noch lernen. Das Semester…“ „Aber der Wahlkampf fängt doch jetzt erst richtig an? Wie willst du das machen?“ Christine folgt Hannes in die Küche. „Keine Ahnung.“ gähnt sie. „Was machst du für Nudeln?“ „Stressspaghetti.“ „Knoblauch und Chili?“  „Richtig.“ „Dann will ich auch welche.“ sagte Christine und setzt sich. „Was sagt denn dein Vater?“ fragt Hannes und holt die Nudeln aus dem Kasten. „Sagt der immer noch, meine Tochter nennt sich nicht Kommunistin?“ „Ja. Das sagt er. Aber ich habe gesehen, dass er das Parteiprogramm angeschaut hat. Auf seinem Computer. Immerhin.“ Christine geht zum Eiskasten. „Du machst Nachtdienst?“ fragt sie. Hannes hält inne. „Du könntest den Käse reiben.“ stellt er fest. Christine holt den Parmesan aus dem Eiskasten. Sie sucht nach der Käsereibe. Findet sie im Geschirrspüler. Sie wäscht sie ab und beginnt Käse in einen Teller zu reiben. Hannes wartet mittlerweile darauf, dass das Wasser kocht. „Ich geb sie immer gleich hinein.“ sagt Christine und deutet auf die Nudeln. „Ich hab das so gelernt.“ gibt Hannes zurück und bleibt stehen. „Du kannst wenigstens einen Deckel auf den Topf geben. Das Klima?“ Christine reibt Käse. „Da hast du recht.“ gibt Hannes zu und holt den Deckel des Topfs aus der Lade. „Das ist ja das Problem. Wahrscheinlich. Man sieht die Folgen nicht. Überhaupt. Man sieht gar nichts. So wirklich. Meine ich. Immer erst, wenn es zu spät ist.“ Er steht wieder am Herd und wartet. Der Deckel ist auf dem Topf. „MANN! Das kommt davon, das MANN nichts sehen kann.“ Christine reibt den Käse heftiger. „Hey.“ ruft Hannes. „Nicht immer…“ „Doch. Immer.“ Christine hält inne. „Immer.“ ruft sie. „Immer. Immer. Immer die Revolution. Sonst ändert sich ja nie etwas. Und natürlich. Wir merken immer nur, dass wir zahlen. Dass die Banken heuer schon einen Übergewinn von mehr als 200% gemacht haben. Das merken wir nicht. Wir werden mit der Geschichte von den 4.000 Euro Mindestsicherung für die 7-köpfige Familie abgespeist.“ Sie schaut den Berg geriebenen Parmesans an. „Das ist jetzt einmal genug. Oder?“ Hannes kommt an den Tisch und schaut. „Das sind auch 200% Übergewinn.“ lacht er. „Warum nimmst du das alles so persönlich?“ Christine legt den restlichen Parmesan in die Packung zurück und verstaut ihn im Eiskasten. „Erstens, weil es ungerecht ist. Zweitens, weil es ungerecht ist. Drittens, weil es ungerecht ist. Und überhaupt. Weil es empörend ist, wie wir leben müssen. Wir sollen einander die Köpfe einschlagen wegen so einem Durchlaufposten wie diese Mindestsicherungen, während sich die anderen das Geld in diesen Mengen einstreifen. Die werden noch bewundert dafür. Manchmal denke ich, die gesamte Kultur. Also, das, was wir so Kultur nennen. Das ist alles dazu da, dem Geld die Mauer zu machen. Lauter Ausreden, dass es moralisch ist, reich zu sein. Diese bildende Kunst. Oder die Oper. Über die Salzburger Festspiele und so. Darüber will ich gar nicht reden. Also. Was ich sagen will. Solange die Grundstrukturen nicht verändert werden und das Wachstum nur das eine Prozent betrifft, während die 99 Prozent sich mit Selbstzerstörung zufriedengeben. so lange…“ „Aber genau das lässt sich doch nicht ändern. Du glaubst doch nicht, dass so eine Person im 10. Bezirk sich nicht mit den Migranten vergleicht, sondern die Bankbilanzen studiert.“ Hannes hat die Spaghetti ins kochende Wasser geworfen. Er salzt das Wasser und rührt um. „Was mich so aufregt, dass ist, dass sie uns das so vorwerfen. Wie den wilden Tieren das Stück Fleisch bei der Fütterung vorgeworfen wird, so bekommen wir diese Geschichte von der asylwerbenden Familie mit den fünf Kindern hingeschmissen. Die bekommen die Mindestsicherung, die ihnen zusteht. Die 400 Millionen der Überförderung von Betrieben mit diesem Covid Geld. Da fangt niemand an, sich mit denen zu streiten, die da abkassiert haben. Auf unsere Kosten. Und bitte. Eine Übergewinnsteuer auf solche Bankengewinne, das könnte deine Person aus dem 10. Bezirk doch verstehen. Das hat ja sogar die SPÖ in ihrem Programm. Und es ist unser Geld. Das sind die hohen Gebühren, die sich da niederschlagen. Das haben du und ich bezahlt. Bezahlen müssen. Es gibt ja keine anderen Möglichkeiten. Und ich bitte dich. Gerechter Ausgleich. Das ist vermittelbar. Ich weiß es. Ich bin ja vor den Bezirksämtern herumgestanden. Für die Unterschriften. Die meisten Leute wollen soziale Gerechtigkeit.“ „Der Kickl will diese Steuer auf den Übergewinn der Banken nicht. Warum eigentlich?“ Hannes rührt die Nudeln um.

Samira kommt in die Wohnung. Christine hört sie. „Samira? Willst du mitessen? Wir können noch Nudeln ins Wasser schmeißen.“ Samira kommt an die Küchentür. „Oh ja. Bitte. Ich sollte nicht.“ Sie seufzt.  „Was ist bei dir los?“ fragt Hannes. Er holt die Nudelpackung wieder aus dem Kasten und wirft eine Handvoll Nudeln in den Topf. „Gibst du kein Olivenöl dazu?“ Samira hat in den Topf geschaut. Hannes schüttelt den Kopf. „Irgendwann werde ich diese 24-Stunden Hilfe Agentur anzeigen. Das kann ich euch sagen.“ Samira wäscht sich die Hände in der Abwasch. Sie seift sich die Hände sorgfältig mit Geschirrspülmittel ein. „Trocknet das die Hände nicht aus?“ fragt Christine. Samira schaut sie erstaunt an. „Im Gegenteil. Sagt die Werbung doch. Pril pflegt die Hände.“ Alle lachen. Samira schüttelt die nassen Hände über der Abwasch ab. „Die zahlen nie das, was den Frauen zusteht. Jedenfalls diese Agentur tut das nicht. Ich würde nicht mehr hierherkommen. Für das bisschen Geld. Bei jeder Abrechnung ist das so. Und die Leute, die von denen betreut werden. Die erfahren davon nichts. Und das wollen die auch gar nicht.“ Samira geht hinaus und in ihr Zimmer. „Die Samira hat immer noch die Angewohnheiten aus der Pandemie.“ stellt Hannes fest. „Ich wasche mir längst nicht mehr so ordentlich die Hände.“ „Du übst schon für deine Weltreise. Wenn du in den wildesten Gegenden überleben musst.“ Christine holt Teller aus dem Kasten. Hannes beginnt den Knoblauch zu schälen und zu schneiden. „Ja. Hygiene soll man da nicht erwarten. Okay. Okay. Wie würdest du es sagen?“ „Hygiene ist nicht zu erwarten. Immer das Partizip verwenden, statt diesem arroganten MAN.“ Christine sucht nach dem Besteck. „Also. Statt: Man kann eine Weltreise machen. Eine Weltreise kann gemacht werden?“ fragt Hannes während er Olivenöl in die Pfanne schüttet. „Perfekt.“ ruft Christine. „Go to the front of the class.“  „Let’s go together.“ sagt Hannes. „Was meinst du?“ fragt Christine. „Ist mir so eingefallen.“ sagt Hannes.

 

29.08.2024 · Texte. Aller Art.

Es ist nie zu spät. Wahlkampfroman 2024. Kapitel 6.

29.08.2024

Die Wahlkampfromane stellen die Fragen zum Politischen auf literarische Weise und können so beschreiben, wie Politik und Wirtschaft in die Lebenswirklichkeiten der einzelnen Personen eindringen. 

Jeden Donnerstag erscheint hier ein neues Kapitel.

Es ist nie zu spät.
Wahlkampfroman 2024.

Kapitel 6.

„Wagen.“ Christine kommt in die Küche gestürmt. Sie wirft ihren Rucksack auf die Küchenbank und lässt sich daneben fallen. „Das macht mich total fertig.“ ruft sie aus. „Wagen. Wir sollen es mit der FPÖ wagen. So nennen die das. Das ist…“ „… ein altmodischer Heiratsantrag.“ ergänzt Andrea Christines Ausruf. Christine lässt sich zusammensinken. „Das ist alles so hoffnungslos.“ sagte sie. „Da ist kein Argument mehr da. Nur noch…“ Sie schüttelt verzweifelt den Kopf. Tilly kommt in die Küche. „Ah! Christine. Bist du schon da. Ich dachte, du bist mit dem Volksstimme Fest beschäftigt. Was machst du da?“ Christine bleibt zusammengesunken sitzen. Tilly schaut Andrea fragend an. Andrea zuckt mit den Achseln. „Die Christine kommt nicht darüber hinweg, wie die FPÖ ihren Wahlkampf rein auf Gefühle ausrichtet.“ erklärt Andrea Christines Verhalten. Christine legt ihre Arme auf den Tisch und legt den Kopf darauf. Tilly seufzt. Andrea steht auf und holt ein Glas Wasser. Sie lässt das Wasser ein wenig rinnen. Währenddessen überlegt sie laut. „Es ist wirklich eine Art Heiratsantrag, was die machen. Das ist kein Vertrag. Ich würde ja die Heirat längst nicht mehr als Vertrag ansehen. Das ist doch kein Vertrag, wenn es um diese Formen von Zuwendung geht. Das ist doch schnell versprochen. „Ich werde dich lieben in guten wie in schlechten Zeiten.“, wenn nicht einmal gesagt werden kann, was lieben heißt.“ „Da war das mit dem achten und ehren fast genauer. Wie das einmal gesagt wurde. Allerdings haben die Frauen dann auch „gehorchen“ sagen müssen.“ Tilly hat sich neben Christine gesetzt. „Komm. Du bist nur müde. Du machst auch ziemlich viel.“ Christine hebt kurz den Kopf. „Ich bin nicht müde. Ich bin wütend.“ Tilly lacht. „Ja. Das verstehe ich. Die Wähler. Ich glaube, die FPÖ kann sich nur Wähler vorstellen. Wählerinnen. Das kennen die gar nicht. Also. Aber dann ist es ja noch lustiger. Die Männer werden verführt. Das war doch früher die Masche, eine Frau dazu zu bringen, einen Mann zu heiraten. Ich sorge für dich. Ich beschütze dich. Ich ordne die Welt für dich und du musst dir deinen kleinen Kopf nicht anstrengen. Ich gehe aus dieser EU heraus und mache uns selbstständig. Am besten wir haben wieder unsere eigene Währung. Ich mache alles für uns und du musst nur dasitzen und das Leben genießen. Deshalb brauchst du keine unabhängigen Gerichte. Ich mach das doch alles. Und es wird dir an nichts fehlen. Und jetzt stell dir alle diese Andrew Tate Burschen im weißen Kleidchen mit Blumenkranz und Schleier vor dem Wahlaltar vor und sie heiraten alle den Kickl. Das ist doch das, was da passiert. Ein Heiratsantrag. Die Eheschließung. Die Enttäuschung. Da hat die Andrea ganz recht. Sie nennen es ja auch „Festung der Freiheit“. Das war die Ehe für die Männer früher allemal.“ „Und nach zwei Wochen kommt die erste „Prügelei““. Anderea macht das Anführungszeichen in der Luft. „Wie jeder Ehefrau wird den Wählern nach der Eheschließung die Wahrheit serviert. Die Ehefrau wundert sich natürlich, warum sie immer weniger verdient, weil die FPÖ gegen Umverteilung ist und neoliberal alles für die Reichen macht. Oder warum sie im Spital selber zahlen muss, weil die FPÖ das Gesundheitswesen privatisiert hat. Oder warum sie so genau überwacht wird, weil die FPÖ den Überwachungsstaat noch mehr fördert als die ÖVP. Oder wenn die Gerichte der Politik folgen und nicht mehr unabhängig sind und sie dann überhaupt keine Chance mehr hat, weil die Ehe wieder vom Mann beherrscht wird, weil das ein christlicher Grundwert ist. Das ist ja so interessant, dass die sich in ihrem Wahlprogramm auf die christlichen Werte als europäische Erbschaft berufen. Dann aber Europa nicht wollen. Na ja. Das Erwachen aus dem Liebesrausch so einer Wahl. Wenn die eigentlichen Machtverhältnisse sich zeigen. Effie Briest halt.“ „Wisst ihr was.“ ruft Tilly. „Es ist Zeit für einen Negroni.“ Christine setzt sich auf und winkt ab. „Ich muss noch einmal weg. Wir müssen die Listen für das „linke Wort“ für das Volksstimme Fest durchgehen. Und ich möchte hören, wie die Verhandlungen mit der Polizei gegangen sind.“ „Aber wir zwei.“ Tilly wendet sich an Andrea. „Wisst ihr was?“ Andrea macht Tilly nach. „Wir machen einen Lokalaugenschein und gehen im Prater noch eine Runde. Es ist zwar immer noch viel zu heiß und die Gelsen werden uns auffressen.“ „Das wird der heißeste Sommer in der Geschichte gewesen sein. Es war noch nie so lange so heiß in Wien. Und das macht mich auch schon wieder wütend.“ Christine legt ihren Kopf auf die Arme zurück. „Komm. Christine. Trink das Wasser. Das ist immer gut. Das gibt es ja gerade noch. Ich habe diesen Albtraum, dass die uns das Hochquellwasser wegverkaufen.“ Tilly schiebt Christine das Wasserglas hin. Christine setzt sich wieder auf. „Es ist alles so ungenau.“ sagt sie. „Diese gemeinsame Zukunft. Es klingt alles so plausibel. Verstehst du.“ „Deshalb stimmt der Vergleich von der Andrea.“ nickt Tilly. „Wir müssen uns selber ernster nehmen und nicht damit rechnen, dass wir freundlich behandelt werden. Von der Politik. Das ist so ein kindlicher Wunschtraum, der aus der Monarchie kommt. Da hat es diesen Übervater ja gegeben. Da konnten alle davon träumen, von dem geliebt zu werden. Das haben die doch auch dauernd gesagt. „mein geliebtes Volk.“ Ha ha. Den sind wir aber jetzt schon sehr lange los. Es sollte langsam möglich sein, diese Familiengefühle aufzugeben und…“ „Ich muss gehen.“ Christine springt auf und nimmt ihren Rucksack. Sie küsst Tilly und Andrea auf die Wangen. „Schönen Spaziergang.“ ruft sie aus dem Vorzimmer. „Trinkt einen Negroni auf mich. Oder so was. Ciao.“ Sie schaut schnell noch einmal in die Küche herein. „Ich mag den klassischen Negroni lieber. Den mit Gin und nicht mit Prosecco.“ Sie läuft wieder hinaus. Die Wohnungstür fällt zu. „Sollen wir wirklich?“ fragt Tilly. „Ich habe alles hier und wir können uns auf den Balkon setzen. Ich habe ein Kinderplanschbecken da. Da können wir die Füße hineinstellen.“ „Das ist ein Vorschlag. Konkret und hilfreich. Das machen wir.“ Tilly holt die Gläser aus dem Regal. Andrea nimmt den Campari und den Gin aus dem Eiskasten. „Hast du Orangen““ fragt Andrea.

 

05.09.2024 · Texte. Aller Art.

Es ist nie zu spät. Wahlkampfroman 2024. Kapitel 7.

05.09.2024

Die Wahlkampfromane stellen die Fragen zum Politischen auf literarische Weise und können so beschreiben, wie Politik und Wirtschaft in die Lebenswirklichkeiten der einzelnen Personen eindringen. 

Jeden Donnerstag erscheint hier ein neues Kapitel.

Es ist nie zu spät.
Wahlkampfroman 2024.

Kapitel 7.

Es ist sieben Uhr früh. Christine und Samira sitzen beim Frühstück. Samira ist schon angezogen und trinkt grünen Tee. Christine ist im Sommerschlafanzug und macht sich gerade einen Espresso. Tilly kommt aus dem Kabinett. Sie dehnt und streckt sich. „Tilly. Du kannst doch noch schlafen. Haben wir dich aufgeweckt?“ fragt Samira. Tilly verneint, „Nein. Nein. Aber. Wo ist denn der Hannes?“ Christine zuckt mit den Achseln. Samira lacht. „Die Christine hat am Volksstimme Fest nicht mit ihm getanzt.“ stellt Samira fest. Nun zuckt Tilly mit den Achseln. Christine beschäftigt sich betont mit der Kaffeemaschine. Tilly und Samira schauen einander an. Tilly verdreht die Augen. „Du. Samira. Wir müssen uns bei dir bedanken.“ sagt Tilly und zu Christine gewandt erklärt sie, „Die Samira hat dem Marwan eine Therapiestelle verschafft.“ „Aber die Claudie Kriegelsteiner hat mir dabei geholfen. Die hat mir diese Ärztin genannt. Die ist auch Bosnierin und eine ganz Liebe.“ wehrt Samira das Lob ab. Christine kommt mit dem Kaffee an den Tisch zurück. „Isst du nichts“ fragt Tilly Christine. „Der Hannes hat wieder den Käse zu kaufen vergessen.“ antwortet sie. Alle schweigen. Trinken. Schauen vor sich hin. „Wenn das mit der Bezahlung und den Stunden und der Behandlung von uns so weitergeht, dann können wir unseren Job nicht mehr machen.“ sagt Samira vor sich hin. „Ein guter Grund eine Gewerkschaft zu gründen.“ murmelt Tilly. „Ja. Gewissen und Produktion zusammenführen.“ stellt Christine fest. Wieder sitzen alle und überlegen so vor sich hin. Dann lacht Tilly auf. „Wir sind schon eine müde Herde.“ meint sie und geht in ihr Zimmerchen hinter der Küche. Sie kommt mit ihrem Laptop zurück. „Tut nur weiter.“ sagt sie und macht den Laptop auf. „Ich habe etwas zur Begleitung. Ihr wisst doch, diese Autorin schreibt immer diese Wahlkampfromane. Und da habe ich das gestern in der Nacht gefunden. Das hat die vor. Also wieviel Jahre sind das. Das ist 2006 geschrieben worden. Und da hat sich nichts geändert. Ich lese euch das jetzt einmal vor.

So ist das Leben. Der Fortsetzungsroman zum Wahlkampf 2006. Dreizehnte Folge.

Nadine hatte dann nichts gemacht. Sie hatte diesem Quereinsteiger den Drink ohne Glaubersalz serviert und sich nicht mehr um ihn gekümmert. Sie schrieb Barbara gleich noch eine SMS, dass Barbara sich keine Sorgen machen solle. Sie würde nun nicht aus Verzweiflung strafffällig werden. Nadine hatte länger nichts von der Mutter gehört. Aber die wollte der Tante Pauli keine Kosten verursachen und telefonierte deswegen nur selten. Das Handy hatte die Mutter dem Vater überlassen. Nadine befürchtete, dass der Vater das wieder ausnützen würde. Die Mutter war aber nicht einmal von der Tante Pauli davon abzubringen. Die Mutter nannte das Liebe, wenn sie sich vom Vater ausnützen ließ. Nadine beneidete die Mutter manchmal. Die hatte kein gutes Schicksal. Aber sie hatte eines. Sie selbst. Nadine. Sie hatte bis jetzt nichts vorzuweisen. In ihrem Alter hatte ihre Mutter ein Kind gehabt und sie hatte mit dem Vater gemeinsam versucht, einen kleinen Betrieb aufzubauen. Ihre Eltern hatten alles gemacht, damit Nadine es einmal besser haben sollte. Aber Nadine hatte nicht einmal mehr ein Schicksal. Sie war wahrscheinlich besser angezogen als ihre Mutter in ihrem Alter, weil es Firmen wie H&M gab. Oder Zara. Die Frauen ihrer Generation konnten ihre Armut hinter diesen schicken, billigen Klamotten verbergen. Niemand musste sehen, dass sie kein Geld hatte. Sie musste es nicht zeigen. Deswegen wurde sie ernst genommen und von solchen Leuten wie diesen rechten Politikern angemacht. Dabei versteckte sie ihren Abstieg in den Kleidern, die von anderen armen Leuten gemacht wurden, damit die aufsteigen konnten. Nadine hatte einen Mann aus der Wirtschaft in einer Talkshow gehört, der gefragt hatte, was denn schon dabei sei, wenn es Kinderarbeit gäbe. Diese Kinder könnten dann immerhin essen. Der Mann aus der Wirtschaft hatte sich sehr gut gefühlt bei diesem Satz. Das hatte man ihm ansehen können. Einer Globalisierungsgegnerin hatte er dann vorgeworfen, einfach zu empfindlich zu sein und immer etwas Schlechtes finden zu wollen.Nadine war dann allein in der Wohnung gesessen. Sie war um drei Uhr am Morgen nach Hause gekommen. Sie hatte dann doch noch zwei Wodkas mit Freddi trinken müssen. Sie hatte auf die gute Zusammenarbeit anstoßen müssen und Freddi hatte gesagt, dass sie ihren Job bald so gut machen werde, dass er sich das mit dem Trinkgeld überlegen müsse und sie beteiligen. Es zeige sich eben, dass eine gute Ausbildung sich bezahlt mache. Er hatte das als Kompliment gemeint. Nadine hatte dann plötzlich das Gefühl gehabt, dass sie unter einer großen Last vergraben wurde. Diese große Last war gerade dabei, sie unter sich zu begraben. Nadine wollte schlafen. Sie wusste aber, daß um 6 Uhr die Bauarbeiten oben beginnen würden und dass das Zahnarztbohrergeräusch der Flex beim Schneiden von Metall und Stein jeden Schlaf verhindern würde. Schon bei der Vorstellung des Baulärms hätte Nadine weinen können. Nadine bekam Angst. Nadine war nicht sicher, ob sie diese Nacht gut überstehen konnte. Sie ging lieber aus der Wohnung hinaus. Nadine wanderte durch die Straßen. Was sollte sie tun. Was konnte sie tun. Überall wurde ihr gesagt, dass sie warten solle. Sie sollte nur noch ein wenig warten und dann würde sich alles regeln für sie. Und dann fragte man sie, was sie denn wolle. Es ginge ihr doch nicht richtig schlecht und es gäbe doch Leute, denen es richtig schlecht ginge. Nadine ging den Naschmarkt entlang. Am Ende die riesigen Plakatflächen mit den Wahlplakaten. Der Kanzler mit diesem knappen Lächeln. Der musste nichts fühlen. Das war nicht anders als beim Vater. Der hatte auch nie etwas verstanden. Nur dem war es nicht gelungen. Aber er würde aus nichts etwas lernen können, weil die als Buben in der Sakristei sich die Hostien aus der Lade nehmen hatten können. Die mussten nichts mehr lernen, die waren eingeweiht gewesen. Die Geschichten vom Vater aus der Ministrantenzeit. Das waren seine Kriegsgeschichten. Hitler war auch Ministrant gewesen. Nadine las die Sprüche auf den Plakaten. Warum war ihr das alles so widerlich. Es war alles so, wie es zu erwarten gewesen war. Wie immer waren die Kommunisten die einzigen mit politischen Plakaten und sozialen Themen. Alle anderen Parteien warben für Gefühle. Nadine hätte Vereinbarungen gewollt. Sie hätte klare Vereinbarungen wissen wollen und nicht über Stimmungen abstimmen wollen. Die Regierungspartei machte Tourismuswerbung. Wer sie wählte, durfte sich im eigenen Land dann wohlfühlen. Die Rechten wollten, dass man in ihren Ausländerhassverein eintrat und bei der Wahl allen Selbsthass in ein kleines Kreuz verwandelte. Waren diese Islamverfolger sich der Symbolik eigentlich bewusst. Die Sozialdemokraten boten sich als Vermittler an und versprachen Fairness. Ließ sich eine wild gewordene Wirtschaft mit Regeln aus dem Sport zähmen. Nadine stand auf der Straße. Die Nacht war kühl. Hinter dem Lichtschein der Stadt waren Sterne am Himmel zu sehen. Nadine schaute hinauf. Die Last auf ihr war auch im Freien nicht geringer. Oder war sie wegen der Wahlplakate wieder so beschwert. Nadine konnte sich plötzlich nicht mehr vorstellen, wie sich etwas ändern sollte. Sie hatte plötzlich die Vorstellung, in eine riesige Lawine verstrickt zu sein, die einem Abgrund zustrebte und sie war so von dieser Lawine umgeben, dass sie kein Gefühl mehr hatte, wo sie endete und wo diese Lawine begann. Sie wusste nur, dass der Abgrund näher kam. Irgendwie war Nadine alles vertan. Sie war am Ende, obwohl sie nie etwas angefangen hatte. Jedenfalls nicht richtig. Nadine hatte bisher nie das Leben beginnen können, das sie sich für sie selbst vorgestellt hatte. Nadine stand vor den Wahlplakaten. Sollte sie dem Kampf für sich selber hier aufnehmen. Sollte sie sich weiter gedulden und warten oder sollte sie sich zugeben, dass man hier keinen Platz für sie hatte. Sollte sie nicht endlich zugeben, dass man sie hier nicht wollte und dass es ihr hier nie besser gehen würde, weil es ihren Eltern gerade so gut gegangen war, sich das für sie zu wünschen. Musste sie nicht einfach zugeben, dass ohne totale Anpassung in diesem Land niemand gewollt wurde. War das Wodkatrinken mit Freddi. Waren das nicht die erniedrigenden Zulassungsrituale, ohne die es nicht ging. Wenn sie sich selber nun nicht zusehen wollte, wie sie ihrer Zurichtung wiederum mit der erwarteten Fröhlichkeit zusah, dann musste sie weg. Nadine machte sich auf die Suche nach einem Internetcafé. Sie wusste eines in der Liniengasse, das die ganze Nacht offen hatte. Ärzte wurden in England, Schweden, Holland und der Schweiz gesucht. Sie hatte sich viel zu lange diesem Land angetragen. Sie musste weg. Oder? Fortsetzung folgt.“

Tilly schaut auf. Sie fährt fort.“Na. Was sagt ihr dazu? Das war damals, wie auf der Medizinuni der Zugang so erschwert wurde und es in Wien keine Ausbildungsplätze für Ärztinnen gab. Die Nadine soll also auf ihren Turnusplatz warten. Die war mit dem Studium fertig und in Limbo. Das war damals. Das hat die Ärztekammer so hingedreht. Die Jungen abwehren, damit die Alten weiter so toll verdienen können. Und jetzt haben wir den Ärztemangel. So ist das Leben wirklich. Ich hoffe, die Nadine ist ins Ausland gegangen. Die Kinder von den alten Ärzten. Die bekamen das Warten von ihren Eltern finanziert. Aber wenn du das nicht hast?“ Alle sitzen still. Christine steht auf und macht sich den nächsten Espresso. „Wir müssen nach links hinaus. Sonst ändert sich nie etwas. Die hat schon recht. Es ist eine einzige Weiterwurschtelei. Und der Kickl will „dass unser Wille geschehe.“ Das ist doch aus dem Glaubensbekenntnis. Oder? ich bin ja nicht religiös erzogen.“ „Ja. Es ist ein halbherziger Abwehrkampf. Mit dem Kurz hätten wir das alles schon längst, was der Herr Kickl noch versprechen kann.“Tilly klappt ihren Laptop zu. „Ich würde gern wissen, was mit Nadine weiter passiert ist. Immerhin sind das 18 Jahre seither. Da passiert das ganze Leben. In dem Alter.“ „Ich hoffe, sie hat es geschafft, eine Familie zu haben. Das wollte sie doch. Ich. Ich muss mir das auch langsam überlegen.“ Christine hat ihren Espresso fertig und kommt an den Tisch zurück. Hannes kommt perfekt angezogen in die Küche. „Guten Morgen.“ Er brummt das. Schaut sich um. Dann geht er zum Eiskasten. Er kramt im Eiskasten und holt dann eine Packung heraus. Er legt Christine die Packung hin. „Ich habe den Käse nicht vergessen.“ sagt er und geht wieder hinaus. Die Wohnungstür fällt sehr laut zu. „Oh.“ ruft Tilly aus. Christine macht die Packung auf. Sie holt Brot und Butter und macht sich ein Käsebrot. „Immerhin. Ich muss zugeben, dass er diese Versprechung eingehalten hat.“ sagt sie grinsend und kaut. „Als Ausländerin.“ Samira macht das Anführungszeichen in der Luft. „Als ehemalige Ausländerin ist dieses Wort sowieso seltsam. Eine Versprechung. Ein Wahlversprechen. Da ist doch der Betrug schon mitgesagt. Oder?“ Alle nicken.