08.05.2019 · Rede.
Es ist wieder da.
Der Text basiert auf einer Rede, welche die österreichische Schriftstellerin und Regisseurin Marlene Streeruwitz bei der Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers Ebensee gehalten hat.
Weitere Informationen hier: Zeitgeschichtemuseum Ebensee
In Österreich. Am 21. Juli des vorigen Jahres teilte der FPÖ-Verkehrsminister über die Kronenzeitung mit, daß ab 2019 Führerscheinprüfungen nicht mehr in türkischer Sprache abgelegt werden dürfen. In der Kronenzeitung. Hinter dem Bild des FPÖ-Verkehrsministers ist eine Frau im Hidschab am Steuer eines Autos zu sehen. Der Verkehrsminister schaut streng. Die Frau lächelt. „Das bisherige Angebot, die Führerscheinprüfung in Türkisch abzulegen, diskriminiert auch andere ethnische Minderheiten, die den Test in Chinesisch, Arabisch oder Albanisch übersetzt haben wollten.“ sagt der FPÖ-Minister. Die Kronenzeitungsleser wären begeistert, daß DIE nun alle deutsch lernen sollen. So wird in dem Artikel berichtet und in den Postings bestätigt.
Und um idealistisch begründete Begeisterung geht es ja auch. Es gibt keine demokratische Lesart für den Satz des FPÖ-Verkehrsministers. Der FPÖ-Verkehrsminister konstruiert erst eine Privilegierung der türkischen Führerscheinprüfung. Es gab nie ein Privileg dieser Art. Es war ein selbstverständlicher Verwaltungsvorgang. Es war nur vernünftig, die Fahrprüfung in der je best verstandenen Sprache abzunehmen. Es war eine Erinnerung daran, daß einmal internationalistischer gedacht worden war in Österreich. In Deutschland kann die Führerscheinprüfung in 12 Sprachen abgelegt werden. Eine solche Vielfalt der Sprachen schlägt sich am Ende in Verkehrssicherheit für alle zu Buche. Die Vorrangregeln sind in allen Sprachen gleich. Die Führerscheinausbildung hat nichts mit Sprachintegration zu tun. Für die Änderungen in der Straßenverkehrsordnung 2019 wäre es darum gegangen, 22 Fragen zu den bereits auf Türkisch vorhandenen 596 Fragen zu übersetzen. Das Verbot der Führerscheinprüfung auf Türkisch ist ein Willkürakt des FPÖ-Verkehrsministers.
Die lächelnde Muslima im Bild ist der entscheidende Hinweis. Es geht um Antiislam. Fremdenfeindlichkeit. Antisemitismus. Die FPÖ plakatierte schon vor Jahren den Slogan „Daham statt Islam!“. Gerade wird von der FPÖ im Wiener Wahlkampf „Mehrheit für unser Wiener Blut – Zu viel Fremdes tut niemandem gut.“ verbreitet. Und die davon Begeisterten. Die wissen es ohne weiteren Hinweis. Türkisch muß dem Deutschen Platz machen.
Deutsch. Deutsch sprechen. Das findet sich im Linzer Programm der Schönerer Partei 1882 zunächst als Abgrenzungsmerkmal gegen die slavischen Sprachen. Damals. In Cisleithanien. In Paragraph II des Linzer Programms wird verlangt, „daß der gesamte innere Amtsverkehr sowie die öffentlichen Bücher und Protokolle ausschließlich in deutscher Sprache geführt werden.“ Deutsch sprechen. Das sollte den „deutschen Charakter“ beweisen. Der deutsche Charakter. 1885 fügte Schönerer an das Linzer Programm jenen Punkt an, in dem er die Beseitigung allen jüdischen Einflusses aus allen Gebieten des öffentlichen Lebens verlangte. Der deutsche Charakter Cisleithaniens war antisemistisch gedacht worden.
Dieser deutsche Charakter wurde in der k.u.k. Monarchie von allen bürgerlichen Parteien mitsamt dem Rassenantisemitismus übernommen. Antisemitismus war wichtigstes Mittel der Wahlkampfführung in allen Stadien der Wahlrechtsentwicklungen. 1888 schlossen sich Deutschnationale und Christlichsoziale zu den „Vereinigten Christen“ zusammen. 1893 gründete Karl Lueger die Christlichsoziale Partei, die mit antisemistischen und antiliberalen Argumenten Politik machte. Antisemitismus führte zum Erfolg der Christlichsozialen in den ersten allgemeinen Wahlen für Männer 1907 in Cisleithanien. In Wien hatte Lueger sich damit längst durchgesetzt gehabt. Deutsch. Deutsch sprechen. Darin war die germanische Abstammung enthalten, die sich so dringlich über alle anderen Nationalitäten der Monarchie erheben wollte. In dieser deutschnationalen Logik fügt es sich heute, daß gerade ein Gesetz beschlossen wird, in dem die FPÖ-Sozialministerin 300 Euro von der Sozialhilfe abziehen kann, wenn nicht gut genug Deutsch gesprochen wird.
Der FPÖ-Verkehrsminister. Er kehrt mit der Verwaltungsmaßnahme Türkisch zu verbieten zum Linzer Programm zurück. Die gesamte Geschichte des Antisemitismus schimmert in diesem vom deutschnationalen Ideologem der FPÖ diktierten Gebot zum Deutsch Sprechen mit. Im Handbuch zum Parteiprogramm der FPÖ wird dann gleich deutschsprachige Autochthonie verlangt. Wieder sollen es drei Generationen sein, die in Österreich geboren sein müssen. Wieder geht es um die Anzahl der Großeltern, die die Autochthonie bestimmt. Zunächst wird überlegt, den Zugang zu Sozialleistungen mit dieser Abstammung zu verbinden.
Wenn in identitären Blogs Elfriede Jelinek „Jüdin“ genannt wird, dann werden wir endgültig an die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 und das Ehegesundheistsgesetz vom 18. Oktober 1935 in der Fassung für Österreich im „Ersten Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Einführung deutscher Reichsgesetze in Österreich vom 15. März 1938“ erinnert. Immer noch und weiterhin wird mit der Bezeichnung „Jüdin“ der Ausschluß aus dem Staat verstanden. Der Verlust aller Rechte und staatlichen Schutzs wird mit dieser Bezeichnung wiederholt. Wenn Elisabeth Leopold 2010 in einem Museum in Südmanhattan vor dem Bild „Die Wally“ stehend, in den Satz ausbrach, „Man muß tolerant sein zu den Juden.“ dann hat sie diesen Ausschluß ebenso wiederum vollzogen. Elisabeth Leopold hat geweint dabei. Aber. Sie hat den österreichischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen von damals erneut die Staatsbürgerschaft entzogen und die Nürnberger Gesetze angewandt. Und am Akademischen Gymnasium in Wien. Da steht auf einer Gedenktafel zu lesen: „Wir erinnern uns an jene Schüler und Lehrer, die 1938 die Schule verlassen mußten, weil sie Juden waren.“
Über den Holocaust wird in Österreich geredet als handelte es sich um eine Naturkatastrophe. Wenn aber das Gemachte der Shoa nicht erkannt werden muß. Wenn die idealistischen Fiktionen von Rassismen, Antisemitismen und Sexismen und deren Wirken in der Vergangenheit weiterhin als idealistische Fiktionen vermittelt werden. Demokratie kann es nicht geben, wenn der Blick auf die Geschichte idealistisch vernebelt geblieben ist. Und darum geht es. Es geht um die Erinnerung. Geschichtliche Erinnerung. Persönliche Erinnerung. Das Gewebe davon. Das ist der Schauplatz der Gegenwart. Jeder Gegenwart. Und. Das ist der eigentliche Ort des Lebens. Das wird der eigentliche Ort des Lebens gewesen sein. Jeden Augenblick lang. Wie das eigene Leben im Allgemeinen verwoben gewesen war. Kollektiv. Und einzeln. Darüber tobt der Kampf. Das ist der Gegenstand der Politik.
Aber. Erinnerung. Sie existiert nur in der Wahrnehmung der Person. Der einzelnen Person. Kein Lehrsatz idealistisch gedachter Identitäten kann das ändern. Oder will das ändern. Die Zufügung soll ja an der Person erfolgen. Wenn in Rom Rechtsradikale das Essen für Roma niedertrampeln und dazu schreien, „Dovresti morire di fame!“, dann ist das Verhungern von einzelnen Personen gemeint. Diese Personen sollen einzeln leiden und sterben, während die Täter sich in einer idealistischen Chiffre identitärer Zugehörigkeit in Sicherheit gehalten sehen. Und in Erinnerung. In der konstruierten Kollektivität der Erinnerung völkischer Überlegenheiten, die zugleich den Zukunftsentwurf darstellt. Die konstruierte Erinnerung ist schon die Zukunft. Die Gegenwart wird so zu einer Übergangsperiode gemacht. Auslöschbare Zeit ist das. Übergang. Die erinnerte Vergangenheit als versprochene Zukunft. Dazwischen muß alles möglich sein, diese Zeitverschmelzung zu erfüllen. Und. Die Übergangszeit ist keine Zeit sondern ein Mittel. Ein Mittel ist kritisierbar, aber es ist keine Erinnerung. Die Zwischenzeit. Im Paradies kann sich keiner mehr an das Fegefeuer erinnern. Die Zwischenzeit hat es dann nie gegeben. Ausgelöscht.
In Österreich. Der faschistische Mann. (Im Faschismus ist die Frau immer in der männlichen Bezeichnung mitgedacht.) Er ist das Ergebnis jahrhundertelanger reaktionärer Politik. In Österreich. Von 1811 bis 1975 war dem beherrschten Untertan im Code Napoleon die Familie zur Beherrschung überlassen gewesen. Von der Frühaufklärung an war der Untertan angehalten, eine öffentliche Version von sich für den Dienst im Staat als Beamter oder Militär bereitzustellen. Als Hausvater konnte er über Frau und Kinder und Angestellte verfügen. Zum Ausgleich. In Österreich. Das Eherecht war der katholischen Kirche überlassen gewesen. Ab 1855 wieder vollkommen. Deshalb. Der Hausvater konnte sich nicht scheiden lassen. In Cisleithanien war der Hausvater über den Staat an seine Familie gekettet. Die Politik in Monarchie und Erster deutscher Republik Österreich war von den Auseinandersetzungen um das Familienrecht und die Scheidung beherrscht und zerrüttet. Aber. Im faschistischen Mann wird dann die Grenze zwischen liberaler öffentlicher Person und privaten hausväterlichen Meinungen aufgehoben. Der Druck von oben in der Monarchie hatte den Untertan in Bändigung gehalten. Die Demokratisierung. Sie hätte männliche Selbsterziehung gebraucht. Das private Toben gegen die Zensuren des Äußeren wurde politische Richtung. Die antisemitischen Ausfälle beim Sonntagsmittagessen wurden Blaupausen der Wahlkampfauftritte. Und auch so verstanden. Intimes Wissen voneinander als Hausväter war das gewesen. Und. Die katholische Kirche wußte es am besten. Es hatte ja gebeichtet werden müssen.
Und weil es in der österreichischen Verfassung im Artikel 7 heißt:“ Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.“ Deshalb lauern die Hausväter und beobachten, ob einer mehr bekommen hat. Ob ein Vorrecht vorliegt. Und wie im Fall des Türkischverbots werden Vorrechte überall vermutet. Vorrechte, die zu Maßnahmen des Ausschlußs und der Verbote benutzt werden können. Und wie schon Ende des 19. Jahrhunderts. Zwar. Die Schichtungen verlaufen ein wenig anders. Weniger offen. Aber die bürgerlichere Partei läßt die nationalistischere Partei am rechten Rand herumtoben. Ganz in der Art des Hausvaters, der sich am Sonntagsmittagstisch über alles aufregen muß, weil er so machtlos gemacht ist. Ganz in dieser Art wird von der FPÖ die sadistische Politik gemacht und die ÖVP sitzt daneben und genießt die Gewalt an den Ausgesonderten. Den Kronenzeitungslesern wird das jeden Tag geliefert. In der identitären Blogosphäre gilt die Spaßfrage „Ist das lustig oder tut das weh?“ und die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 finden rhetorische Anwendung.
In der Misere einer solchen Gemengenlage. Wir hier. Wir müssen es je neu lernen. Je neu begreifen. Weder Opfer noch Täter bilden einen Chor. Es geht immer um die Handlungen einzelner. Es geht immer um die gelebte Erfahrung einzelner Personen. Diese Erkenntnis muß ertragen werden. Die Versuchung ein nationales Schicksal zu behaupten. Ein kollektives. Dieser Versuchung muß widerstanden werden. Wir müssen weit besser lernen, vor die Nazigesetzgebung zurück und wegzugehen. Wir müssen endlich lernen, wenigstens im Reden über die Opfer alle staatsbürgerlichen Rechte und Bezeichnungen je vollkommen zu restituieren. Und. Die üblich gemachten nationalsozialistischen Redeweisen aufzudecken und zu beenden.
Das Ziel wäre gewesen, dem Wiederholen zu entkommen. Das Ziel wäre gewesen, Sprache und Kultur so radikal in Frage zu stellen. Das Ziel wäre gewesen, das Trauma nicht als schwelende Erinnerung sondern als gefaßtes Wissen bearbeiten zu können. Das hat nicht stattgefunden. Wir sprechen weiterhin in der Grammatik, die die Shoa gesprochen hat. Die wenigen lexikalischen Tabus werden gerade außer Kraft gesetzt. „Ist das lustig oder tut das weh?“
Wenn eine Katastrophe wie die Shoa hergestellt werden konnte. Wenn eine von Menschen gemachte Katastrophe wie die Shoa es unumgänglich machen konnte, den Verfolgten in jedem Augenblick ihres Lebens gegenwärtig sein zu müssen. Dann ist es gegen eine solche unerträgliche Überwölbung der Leben notwendige Pflicht, jeden Augenblick im Widerstand gegen auch die kleinste Wiederholung jener Umstände zu sein, die zu den Verbrechen geführt haben.