18.02.2022 · Rede.
Ver. Um. Er. Und lernen.
Die Keynote anlässlich des Symposiums musste krankheitsbedingt abgesagt werden und ist hier in vollem Umfang zugänglich.
Unlängst. Eine housewarming party. Sie können sich das vorstellen. Die Wohnung ist fertig eingerichtet. Es hat lange gedauert. Ewig eigentlich. Aber nun. Die Bühne des neuen Paares ist zur Besichtigung freigegeben. Launig wird die Geschichte der Entstehung der Wohnung erzählt. Wie der Stoff für die Vorhänge dreimal umgetauscht werden mußte. Wie auf dem Flohmarkt gestritten wurde, ob die Kommode gekauft werden soll oder nicht. Wie die Ehemänner sich nicht einigen konnten, welche Farben im Badezimmer verwendet werden sollten und deshalb der eine den Boden bestimmte und der andere die Wände und die Kommode wurde dann doch erstanden. Wir besichtigen und applaudieren. Wir essen und trinken. Es ist eine Feier all der Gastfreundschaft, die in dieser Wohnung stattfinden soll. Ein Fest vorausahnend für alle kommenden Feste. Gefeiert wird die Gastfreundschaft, für die das Paar diese Wohnung gedacht hat. Und. Unvermeidlich. Das Gästebuch muß begonnen werden. Und. Als Schriftstellerin. Ich solle das Gästebuch eröffnen. Mir fiele doch sicher etwas Witziges ein.
Aber wie allen anderen. Natürlich fällt mir nie etwas Witziges ein. Im Gegenteil. Ich vergesse während des Signierens den Namen der anzusprechenden Person. Ein solcher Stress ist das. Ich nehme also das blauledern gebundene Buch und setze mich in eine Ecke und beginne. Ich bemühe mich, der freundlich offenen Stimmung gerecht zu werden. So ein erster Text. Es ist wie eine Weissagung und darin eine Aufgabe. In der Ecke schreibend. Von Ferne. Ich höre die Frage nicht, aber die Antwort des älteren Hausherrn klar und deutlich. „Wenn es mir nicht paßt. Ich kann es doch herausreißen. Die erste Seite. Das geht doch immer.“
Ich schreibe fertig. Aber schon während der letzten Worte des Gastgebers. Ich werde unwillig. Unschlüssig. Dann ist Aufbruch. Aber schon beim ersten Schritt aus dem Haus hinaus. Ich hätte die Seite selbst herausreißen müssen. Im Auto noch einmal der Impuls zurückzugehen und die Seite herauszureißen. Ich mache das nicht. Es wäre übertrieben, sagt man mir. Und was ich denn hätte. Der habe das sicher nicht so gemeint.
Aber. In aller Kleinheit und Unbedeutendheit. Dieses „So“. Der Gastgeber habe es nicht so gemeint. Es war eine Vernichtung. Und alle Kultur, derer wir mächtig sind. Es geht gegen solche Vernichtung. Eine Vernichtung ist das, die auf allen Ebenen des zu lebenden Lebens solches Leben ungeschehen machen möchte und sich gleichzeitig zumutet, damit über die Zulassung der Person zu entscheiden.
Im Fall des Gästebuchs ist das der Vorgang der Auslöschung meines kleinen Texts. Es wird mein Besuch so ungeschehen gemacht. Ich war nicht da. Niemand wird von meiner Anwesenheit lernen können. Das ist vollkommen unwichtig. Und trotzdem war ich so grundlegend gekränkt. Und heute. Ich meine, die Kränkung hat sich darauf bezogen, daß mit der Löschung des winzigen Texts. Ich könnte nicht mehr gefunden werden. Ich bin nicht einmal verschwunden gemacht. In kürzester Zeit würde es mich gar nicht gegeben haben. Der Vorfall hat alle meine Ängste aufgerufen, sterben zu müssen, ohne auf der Welt gewesen zu sein. In einer unbedeutenden Bemerkung war mir vorgeführt worden, wie abhängig ich davon bin, als Person zur Kenntnis genommen zu werden, um wissen zu können, daß ich am Leben bin und nicht nur auf den Tod zu laufe. Und dann. Mein Text hat sich auf die, durch Gastfreundschaft hergestellte Gesellschaftlichkeit bezogen. Mit dem Herausreißen dieses Texts ist nicht nur meine Person betroffen. Alle Bezüge zur Situation und damit zu den anderen Personen bei dieser housewarming party werden ausgelöscht. Im Kleinsten. Geschichte wird hergestellt.
So wird Geschichte hergestellt. Es geht in der gesamten Geschichte und nach wie vor um nichts anderes, als um ein solches Herausreißen von Seiten. Mit der Vernichtung ihres Texts wird die Vernichtung der Person bewerkstelligt. Und mit Text meine ich hier jede Lebensäußerung, deren Archivierung Kunde von der Existenz der Personen gibt. In der spezifischen geschichtlichen Situation, in der wir uns hier befinden. Und wir befinden uns immer in spezifischen geschichtlichen und deshalb unvergleichlichen Situationen.
In der spezifischen geschichtlichen Siituation hier. Befinden. Wir finden uns. Die Selbstverständlichkeiten dieses Sich Befindens. Kultur. Ob gemacht. Ob vermittelt. Ob zur Kenntnis genommen. Ob mitgelernt oder nachgelernt. Nie wird sich das gesamte Panorama dieser Selbstverständlichkeiten beschreibbar machen. Davon kann ich berichten, wenn ich dieses Panorama, in einen Roman verwandelt, selbst nicht vollständig weiß. Diese Selbstverständlichkeiten berichten sich in der Körperlichkeit der Sprache. In den mitgeahnten mitzuahnenden Verknüpfungen der Sinneinheiten. Am Ende als Wirklichkeiten. Im Grunde geht es um dieses „So“, von dem mir gesagt worden war, der Gastgeber habe das mit dem Herausreißen nicht „so“ gemeint. Und. Jede einzelne Person hätte eine Auslegung dieses „So“.
Begännen wir ein Projekt, dieses „So“ aufklären zu wollen. Und jedes solche Projekt wäre Kultur und stellte darin wiederum Kultur her. Und. Im Nachgehen all der Bewegungen des Forschens. Also des Nachmachens. Des Neumachens. Des Vermittelns. Des Mitlernens oder des Nachlernens. Wir würden alle Formen künstlerischer Mitteilung bemühen müssen, überhaupt in die Nähe einer Verdachtsthese des Anfangs einer solchen Landschaftsbeschreibung zu kommen. Ich würde mit der Nachstellung der Szene theatral beginnen. Dann in einem Tagebuchprojekt für alle in der Szene gedachten Beteiligten die verschiedenen Standpunkte einsammeln. Dann die Szene aufgrund dieser Tagebucheintragungen neuerlich aufführen. Immer und immer wieder. Was ändert sich. Was nicht. Was läßt sich verschieben. Was bleibt unveränderbar. Was wird nun von dem „So“ gewußt. Wo findet sich dieses „So“. Was ist das eigene „So“ all der Mitmachenden. Denn das war nun alles in Zusammenführung gemacht. Wo sind nun die verschiedenen „So“ im Alltag. In den Leben. Geschichten werden erzählt werden müssen. Tränen werden fließen. Lachen wird erklingen. Melancholie die Stimmung drücken. Ratlosigkeit über die selbstverständliche Verschwendung der Personen. Hilflosigkeit über unüberbrückbare Entfernungen. Aber. Herausgerissene Seiten werden aufgefunden werden können. Und darum muß es gehen.
Gehendes Weben fällt mir ein. Im Suchen nach dem eigenen „So“ im gemeinsamen „So“ und im Finden der herausgerissenen Seiten und den Personen dazu. Im Finden der Nicht Erzählten und des damit Nicht Erlernten. Es ist ein Prozess eines Vorwärts im Rückwärts, der Assoziationen aufgespannt im selbstverständlich Vorausgesetzten. Das ist Leben und Kultur der auslösende Funke davon. In diesem Verwobensein. Ich hoffte auf sanfte Vorgänge. Es muß doch das Verwobensein der Person zum Instrument der Erforschung dieses Verwobenseins entwickelt werden. Das ist, was Kultur kann. Ob sie gemacht wird. Oder vermittelt ist. Und es ist Voraussetzung, daß jeder Person in diesem Vorgang das Selbstbewußtsein ersteht, das Selbstwertgefühl sich festigt und die Selbstachtung unantastbar wird.
Hier. In unserer spezifischen, geschichtlichen Situation im Pädagogischen. Wir sind belehrt worden. Und es ist aus dieser Geschichte, daß ich lernen als den passiven Prozess dieses Belehrens oder Beschulens einstufe. Und selbstverständlich läßt sich aus diesem Lernen auch alles Verlernen. Wenn dieser Prozess des Belehrt-Werdens nicht selbst schon das Verlernen in sich angelegt hat. Die Wiedereinführung der Benotung in den ersten beiden Schuljahren durch die Regierung Kurz mit Strache ist mir Beweis dafür, daß es sich beim hier gemeinten Lernen um einen umfassenden und prägen sollenden Prozess sozialer Einstufung handelt. Der Umfang und die Tiefenwirkung dieses Prozesses ist dann im selbstverständlich Vorausgesetzten versenkt. Also den Personen nicht einsichtig. In dieser anderen Kultur als der US-amerikanischen. In der Kultur des verdrängten Humanismus und der verhinderten Aufklärung der österreichischen Geschichte. Das Herausreißen der Seiten erfolgt hier in spezifischer Weise schon durch das Lernen selbst. Der Lernvorgang als Verstaatlichung der Person ist so basal, daß Verlernen oder Nicht-Lernen selbst auslöschend funktioniert. In der innigen Verknüpfung von Lernen und aller Zulassung der Person. Verlernen. Es könnte Amputation bedeuten. Wobei in der sadistischen Zurichtung durch Beschulung selbst das erlernt wird. Notwendig masochistisches Lernen in hierarchischen Zusammenhängen des Überlebens, zumindest des sozialen Überlebens, wie es sich in Notengebungen niederschlägt. „So“ notwendig masochistisches Lernen bedingt eine Verriegelung in dieses gelernte Lernen. Und Entkommen. Das ist die Aufgabe des Kulturellen. Und. Ein solches Entkommen ist nur in vorsichtigen Bewegungen möglich. Bewegung überhaupt, um aus der Erstarrung solcher Prägung aufwachen zu können. Wegbewegung dann. Aber eben sanft. Vorsichtig. Es geht darum, was eine Person an solcher Wegbewegung ertragen kann. Wie der gesamte Vorgang dieses Ertragen Können zum Ziel haben muß. Wiederum. Jeder Person muß in diesem Vorgang das Selbstbewußtsein erstehen, das Selbstwertgefühl sich festigen und die Selbstachtung unantastbar werden. In allen Projekten des Kulturellen ginge es also darum, das Lernen neu zu lernen und damit die etymologische Herkunft des Lernens mit „auf die Spur kommen“ wiederherzustellen.
„Auf die Spur kommen.“ Das wird bedeuten, den Weg zu ändern. Andere Wege zu suchen als die einfach zugänglichen oder vorgeschriebenen Pfade von Denken und Fühlen und Fühldenken, die über die zerrissenen Seiten hinwegführen sollen. Es ginge also darum, so viele Suchverfahren wie möglich kennenlernen zu können. Ich hätte nie von diesen einfach zugänglichen und vorgeschriebenen Pfaden abkommen können. Ich hätte nie eine Vorstellung von Befreiung ahnen können, hätte ich nicht den Zugang zur Stadtbücherei Baden gehabt und da die Kinderbücherei und die Erwachsenenbücherei buchstäblich ausgelesen. Die Erzählung. Der Roman. Es waren diese vielen und vielen Geschichten und Erzählformen notwendig, mir einen Spalt in den festgefügten Sesshaftigkeiten von römisch-katholischer Vielkinderfamilie und den durch Katechisierung vermittelten Jenseitsängsten des Katholischen zu ermöglichen. In dem patriarchalen Gefüge der gesetzlichen Anordnung der Hausvatermacht bis hin über die Körper einer solchen Familie. Der Kleinstadtsituation in der russischen Besatzung und den Zeiten danach. Die Erziehung durch kriegstraumatisierte Eltern und Großeltern. Die Beschulung durch nazigeprägte Lehrer und Lehrerinnen in schwarzer Pädagogik bis zum Ende der Schulzeit. Und. Was heute sich erst klärt. Kinder waren damals einer Front der Erwachsenen gegenübergestellt. Die österreichische pädagogische Vorstellung ging vom Kind als moralischem Mangelwesen aus. Aussagen von Kindern war deshalb grundsätzlich zu mißtrauen. Mißbrauch war damit jederzeit möglich und fand statt. Lehrmethoden wurden nicht hinterfragt. Offiziell installierte Persönlichkeiten waren nicht in Frage zu stellen. Die reale Situation. Das war vollkommene Hilflosigkeit und Ausgeliefertheit. Das war uns Kindern klar, aber nicht sagbar. Diese Seiten waren schon herausgerissen, bevor die Geschichte erzählt hätte werden können. Ja. Wie wir heute wissen. Es gab sorgfältig konstruierte Leerstellen, solche Geschichten unerzählt verlaufen lassen zu können.
Daß es anders sein könnte. Und. Daß es nur anders richtig sein kann. Dazu brauchte es für mich die gesamte Weltliteratur und alle Trivialliteratur der Zeit. Und. Ich bin auf diesem Weg geblieben, wenigstens eine Ahnung von der demokratischen Autonomie der Person zu erhaschen. Von Freiheit wissen wir hier nichts. Zu eng ist die historische Umstellung der Person durch Kirche und Staat in dieser besonders innigen Verbindung des österreichisch Geschichtlichen.
Was zu lernen gewesen war. Die Wahrheit ist nicht im Gesagten zu finden. Die Wahrheit findet in einer Zwischenebene zwischen dem Körper und dem Geist statt. Erkenntnisse sind anderssprachige Gefühle.
Wenn es nun darum geht, sich auf den Weg anderer Wege in der Suche nach demokratischer Autonomie der Person zu machen. Und ein anderes Ziel kann Kultur für mich nicht haben. Die Person demokratischer Selbstverantwortung in demokratischen Bedingungen. Wenn es also darum geht, dahin aufzubrechen. In Katalogtexten finde ich weiterhin als Schlagwort der Moderne, das Ziel der Kunst sei die Rückführung der Person auf sich selbst. Das ist ein patriarchales Diktum, das vom hegemonialen Selbst ausgeht, das sich nur auf sich selbst besinnen müßte und in dieser Selbstbesinnung wäre dann die Transzendenz enthalten. Heute. Die Erweiterung des Werkbegriffs. Und. Die unendlich vielen Beiträge privat gebliebener Werke. Die Schmähung der töpfernden Hausfrau der 70er Jahre hat nichts daran geändert, daß es nun ein Bewußtsein davon gibt, daß es nicht hegemonialen Narzismus bedarf, ein Werk vorzulegen. Die Verweigerung der Besprechung dieser Werke war und ist auch ein Herausreißen der Blätter. Und. Die Hegemonie der Marktkunst kann sich so erhalten. Und. Die Demokratisierung unserer Gesellschaft wird in dieser so vermittelten Verachtung mitangehalten. Selbstverständlich ginge es um eine innige Auseinandersetzung all dieser Äußerungen darin, wie weit oder wie stark die Information der Werke sich vermitteln kann. Bleibt die Intention der Werke im Werk beschlossen und damit bei der schaffenden Person. Oder. Vermittelt sich die Intention durch die ästhetische Lösung einigen anderen Personen. Oder vielen Personen. Oder fast allen Personen. Das wäre zu fragen, wenn denn noch Werke vorgelegt werden.
Ich würde ja meinen, ein gemeinsamer Spaziergang und ein karges Gespräch angesichts einer Landschaft erfüllte mir den Anspruch, Kultur genannt zu werden. Kunst. Das ist ein Begriff, der hierarchisch Hegemoniales beschreibt. Marktbewertungen. Einengungen und Beschwerung. Wenn es um die Wege zu Freiheiten geht, dann wären alle Projekte auf diesem Weg Befreiungsversuche und im Grund das Gegenteil von Kunst darin, daß die Teilnahme im Vorgang enthalten und die Absicht der Achtung des eigenen und des anderen Selbst der Personen offenkundig ist.
Aber lassen Sie uns zum Anfang zurückgehen.
„Ich schreibe fertig. Aber schon während der letzten Worte des Gastgebers. Ich werde unwillig. Unschlüssig.“ Und gleich auch die Überlegung, die Seite selbst herauszureißen.
Als römisch-katholisch weiblich sozialisierte Person meiner Generation. Und es geht immer um die Möglichkeiten der ersten Zeiten. Ich kann heute sehen, wie da die Sperre zwischen Wissen und Wollen eingebaut wurde. Das Wollen wurde bearbeitet. Dem Wissen wurde nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Mädchen. Eine Frau. Gefühle mußten ihr erhalten werden. Die Gefühle sollten aus dem Wollen der Hegemonie dirigiert die Rollenerfüllung bewerkstelligen. Liebe sollte das sein. Die Liebe zu dem einen, vor Gott bestimmten Mann. Und die Liebe zu den Kindern und damit die Erfüllung aller Aufgaben im Kosmos der Pflege. Ich war also für den Kosmos der Pflege bestimmt und brauchte keine Ratio. In der damaligen Mädchenschule. Mathematik wurde uns gar nicht beigebracht und der Philosophieunterricht beschränkte sich auf eine ständische Entwicklungspsychologie. Philosophie. Säkulare Erkenntnis. Das wurde als Hegemonial einfach vorenthalten. Im Kosmos der Pflege aber. Da wird die Sprache erlernt. Da wird das Sprechen erobert. Da wird die Person erst konstruiert. Und die Sprache. Das Sprechen. Das Erlernen davon. Das ist das Leben selbst. In jedem Augenblick finden wir uns im Sprechen der vielen Sprachen, die da möglich sind. Jede Bewegung. Jede Reaktion. Jede Wahrnehmung. In jedem Augenblick besteht ein Wissen über den Augenblick. Ein Wissen ist das, das nicht immer gesagt werden kann. Oder muß. Dieses Wissen finden wir auch mehr im Körper. Dieses Wissen wird körperlich gedacht. Und. Das ist meine Expertise. Die Wahrnehmung als körperliche Erkenntnis. Diese Erkenntnis als eigentliche Handlungsgrundlage. Körperlich vorgedachte Denkgrundlage. Mehr als Affekt. Ein Wissen. Und dieses Wissen.
„Ich werde unwillig. Unschlüssig.“ Natürlich drückt sich darin die gesamte Zurichtung der frühen Zeiten aus. Die Handllungshemmungen treten ja meist als Erstes auf. Gleichzeitig weiß ich aber etwas über die Situation, was ich noch nicht sagen kann. Hier ist es die Höflichkeit, die hemmend wirkt. Die Stimmung. Dann aber. Die Wahrheit ist, daß dieser Gastgeber sich zum Herrscher über mich und meinen Text gemacht hat. In der Aussage, er könne den Text ja vernichten, sollte ihm der Text oder ich nicht mehr zusagen. In dieser Aussage ist ja jede Vereinbarung über Gästebücher gebrochen. Nicht die Gäste werden dokumentiert, sondern der Gastgeber läßt zu oder läßt verschwinden. Und. Daß ich diesen Vorgang so ernst nehmen muß. Das ist darin richtig, daß Rassismen so beginnen. Oder Chauvinismen, worum es sich hier gehandelt haben mag. Und ja. Ich trenne nicht zwischen Kultur und Leben. Das ist die Folge des erweiterten Werkbegriffs. Ob Roman oder Gästebucheintragung. Es handelt sich um Texte. Jeder Text ist eine Erzählung vom Leben und damit vom Tod. Damit ist jeder Text politisch. Und. Der Gästebuchtext ist unwichtig und deshalb als Beispiel so richtig. Herrschaft findet jeden Augenblick statt. Die Entwindung. Wenigstens. Sie braucht alles Wissen und Wollen der Person. Und im nächsten Schritt, den wir dann Kultur nennen wollen, ginge es darum dieses Wissen und Wollen mitzuteilen und in die Gemeinsamkeiten darin weiterzuführen.
Nehmen wir noch einmal unser Beispiel. Die Spuren der Verhältnisse wurden durch den Gastgeber zu Linien der Herrschaft gemacht. Ich kann so demokratisch freundlich sein wie ich will. Das Urteil ist gesprochen. Und Urteil. Es ist in unserer Kultur und im Gesellschaftlichen und im Staat allgegenwärtig. Die soziale Bewegungsform ist das Urteil. Das wird mit dem Etikett „privat“ maskiert. Notwendig ist diese Bewegungsform zum Erhalt des Besitzes. Es ist Elitenerhalt, wenn jemand ein solches Urteil abgibt. Und wir treffen dieses Urteil vor allem im Zusammenhang mit Kunst und all dem, was Kunst genannt wird. Das Wissen, was nun Kunst für die einzelne Person ist. Also das, was in der Informationsdichte die Alltagsinformationen überschießt. Wie auch immer. Dieses Wissen ist jeder Person zugänglich und möglich. Aus dem Wissen das Wollen des öffentlichen Urteils zu machen. Das ist der Schritt ins Politische. Das ist der Schritt, der im Fall meines Gästebuchtexts die Beziehung Gästin/Gastgeber aufgesagt in das Fällen eines öffentlichen Urteils verwandelt hat. Die Beziehung im Gesellschaftlichen ist ins Territoriale gewandt, ein Besitzverhältnis geworden. Der Gastgeber hat den Besitz an seinem Gästebuch reklamiert und seine Hoheitsgewalt darüber verkündet. Die private Beziehung ist öffentlich geworden, in der Veröffentlichung des Urteils. Hier auch des Geschmacks, der der Person zusteht. Das Urteil, das ohne Verhandlung gefällt wurde, ist die Politisierung. In diesem Fall die Politisierung einer Person. Es ging ja um meine Person und die Vermutungen über meine Politik, die da so herumschwirrten. Unsere Kultur hält solche Urteile für persönliche Freiheit. Das ist aber nur die Nachahmung feudaler Strukturen, die sich die Herrschaft über die Welt zumuten. Es ist wiederum nur Herrschaft in minimierter Form, die da vorliegt und die wir im Alltag einfach hinnehmen. Und wir sollten nicht.
Lassen Sie mich kurz innehalten. Es könnte sein. Jedenfalls mache ich die Erfahrung. Es scheint ja so zu sein, daß für eine Frau ihr Alter von ihrem Erfolg subtrahiert wird, während sich für hegemoniale Personen eine Addition davon ergibt. Es könnte also sein, daß Sie sich sagen, die Grundlagen meiner Überlegungen könnten auf meine Generation beschränkt werden. Und in gewisser Weise ist das natürlich so. Und das gilt für jede andere Generation ebenso und es kann nicht verglichen werden. Zu komplex sind die jeweiligen Verwebungen, um in einem Vergleich überhaupt auftreten zu können. Es kann nur immer zugehört werden. Die Erzählungen werden verschieden sein. Die Schlüsse daraus. Darin sind wir in unserer Lebensnot gemeinsam eingefangen. Wir müssen alle dieselben Fragen beantworten und dieselben Rätsel lösen. Darin erst findet sich dann das Gemeinsame. Nicht normatives Erzählen und Zuhören stellt die Voraussetzung her. Nicht anders als in der Kunst oder der Psychoanalyse ist jede solche Erzählung als Text autonom und unterliegt keiner normativen Einschätzung. Oder sollte das nicht.
Und dann. Wenn ich davon ausgehe, daß im hiesigen Vorgang des Lernens das Verlernen schon eingebaut ist. Auch Elitenerhalt und geistiger Feudalismus. Dann muß die Durcharbeitung der Lernkultur hier nicht unlearning einsetzen, sondern entlernen sagen. Ein Prozess des Zurücklassens beschreibt sich mit der Vorsilbe ent. Das Verlassen eines Raums bietet sich an. Entkommen käme als Synonym in Frage. Denn. In anderer Weise ist die Person der hier spezifischen historischen Machart insgesamt christlich feudal ergriffen. Teile von sich abzulegen. Ich fand einmal in einer Broschüre der politischen Akademie der ÖVP den Vorschlag ein Großreinemachen der Seele zu veranstalten und überflüssiges Gerümpel zum Fenster hinauszuwerfen. Das war in den frühen 90er Jahren. Eine solche Gebrauchsanweisung neusachlicher Seelenhygiene. Das zeigt, daß im Zentrum des Systems das Unbewußte immer noch nicht gedacht wird, während gleichzeitig über autoritäre Erziehung und Bildung die Person in ihre Prägungen existentiell verstrickt wird, weil das Überleben der Person durch solche Behandlung stets in Frage gestellt bleibt. Und dann noch. Ich sehe keine Bemühungen, die Rückfälle in die schwarze Pädagogik in Form der Notengebung für die ersten beiden Klassen der Volksschule wieder gut zu machen. Ich sehe keine Bemühungen, die Gesamtschule als Aufhebung der Erziehung zu ständischem Selbstverständnis der Erhaltung aller möglichen Eliten einzuführen. Ich sehe keine Bemühung, die Autonomie der Universitäten zurückzuholen. Ich sehe keine Ansätze, Mitbestimmung in Schule, Bildung und Kultur anzudenken.
Aber da beginnen meine Träume. Ich würde sehr gerne zu Theaterproben gehen. Ich würde sehr gerne sagen, heute gehe ich zur Nachmittagsprobe im Theater XY und schaue mir an, wie weit die da in den Proben zum Stück YZ gekommen sind. Ich gehe zu Gerichtsverhandlungen. Ich würde sehr gerne in den Eingangshallen zu Krankenhäusern und Altenheimen sitzen können und in abstinenter Teilnahme wissen, wie gelebt wird. Ich möchte an Schulstunden teilnehmen und in der Universität vorbeischauen. Ich kann mich in manche Bibliotheken setzen und lesen. Das ist aber nicht selbstverständlich. Ich möchte Konzertproben anhören können. Ich möchte teilnehmen. Das hieße den Begriff vom öffentlichen Raum neu zu bedenken. Eine solche Teilnahme hieße auch, die Vorstellung vom kulturellen Ereignis als Fertigprodukt abzubauen und die Entstehung zu betonen. Insgesamt. Mir ginge es um Teilnahme und Mitbestimmung. Die Anwesenheit von Publikumspersonen sollte anregend aufgefaßt und nicht als Störung angesehen werden. Diese Sicht kommt ja auch aus dem Feudalen als Publikum, dem etwas serviert wird und das darüber das übliche Urteil fällen darf. Diese Sicht kommt auch aus der Anordnung etwa der Theaterprobe in der Form der sentimentalen Familie, in der eine väterliche Figur, die auch eine Frau sein kann, über Untergebene bestimmt. Der öffentliche Blick auf solche Vorgänge müßte Erhellung mit sich bringen. Auflösung der immer noch gewaltsamen Strukturen durch Öffnen der geheimen Räume. Es wird in jedem Fall notwendig werden, das, was wir heute Publikum nennen, anders zu benennen und das Stockmassendasein so aufzulösen, daß das Still-Entgegen-Nehmen des Kunstereignisses durch Teilnahme an der Entstehung eben zu Teilnahme werden könnte. Und. Keine Expertise würde dadurch geschmälert. Im Gegenteil. Und natürlich müßten alle Teilnehmenden die jeweiligen Projekte fördern. Wie das gehen könnte, das wären die Einstiegsprojekte in eine solche demokratisierte Kulturwelt. Es würde nicht um Konkurrenz gehen können. Es müßte die Erhaltung des Selbstwerts aller Beteiligten verhandelt und zumindest erhalten werden. Der Gewinn aus solchen Unternehmungen wäre ja die Steigerung des demokratisch gedachten Selbstwerts. Und in einem besitzlosen Umgang mit den zu bearbeitenden Sinneinheiten könnte das auch gelingen. Und wieder natürlich. Wir sind von solchen Möglichkeiten so weit entfernt, wie es gelingt, jeder Person das Recht und die Pflicht zur Selbstachtung vermittelt zu haben und das jeweilige Projekt als Mittelpunkt der Bemühungen festgelegt zu haben. Und ohne hierarchische Führung sollte die Frage der Konkurrenz bearbeitbar werden.
In Zukunft. Wir werden dieses Wissen, aus dem wir die Sprache und das Sprechen beziehen. Wir werden dieses Wissen brauchen, um zwischen den Texten von Personen und Texten von den digital aliens der Künstlichen Intelligenz unterscheiden zu können. Wenn es bisher schon grundlegend wichtig war zu wissen, wer woher wie und wann den Text verfaßt hat und was wir an Absicht aus dem Text schließen können. Dann wird es verzweifelt wichtig werden, in den Texten der digital aliens die wieder dahinter wirkende Autorschaft durch Personen zu entschlüsseln, um der Absicht der Texte auf die Spur kommen zu können. Darin. Wir werden sehr viel erlernen müssen, um nun wieder diese Vorgänge der Personenkonstruktion erfassen und nach unseren Vorstellungen bestimmen zu können. Das scheint mir aber nun die Aufgabe der Gegenwart zu sein. Die Säkularisierung der Person in das Demokratische. Eine Säkularisierung muß das sein, die der Person die demokratische Bestimmung über sich in demokratischer Weise ermöglicht. Diese Person wird ihre Autonomie gegenüber technischen Entwicklungen bewahren können. Diese Person wird nicht auf die, sich selbst unbekannten Affekte reduziert, den Versprechungen jeweils sofortiger Lusterfüllung unterliegen müssen.
Und weil das alles so selbstverständlich daherkommt. Das mit den Entwicklungen und Neuerungen. Und weil die Weltrettung nicht anzustehen scheint. Wir können uns nur mit Erkenntnissen wappnen. Dafür wiederum werden wir die Wahrheiten ertragen können müssen, um die richtigen Wege finden zu können. Und das ist unsere Aufgabe. Die Wahrheiten als Pfade der Rettung. Gemeinsam. Und das bei jedem Schritt.