23.01.2010 · Text.
Vom Gehen. Und vom Heute.
Nur noch Burschen & ihre Herrlichkeiten. Triptychon: 2000, 2001 und 2010 – drei Tagebuchnotate zur österreichischen „Wende“. (Die Presse)
14. FEBRUAR 2000
Mein Fernsehapparat ist kaputt. Es ist Valentinstag, und die Umrisse in der Mitte des Bildes verlaufen in Schlangenlinien. Unten ist dann alles wieder scharf. Oben auch. Ich könnte umschalten. Aber ich schalte nicht um. Was sollte ich die Misere in und um Österreich auch noch scharf sehen.
„Österreicher sind europäische Patrioten.“Sagt die österreichische Außenministerin in Brüssel vor der internationalen Presse. Zum Glück komme ich in diesem Konzept nicht vor. Ich bin kein Patriot und schon gar keine Patriotin. Aber. Frauen gibt es in Österreich nicht mehr. Jedenfalls nicht als eigenständiges politisches Phänomen. Die Jungburschenschafter der FPÖ und die „alten Herren“ aus den katholischen Studentenverbindungen der ÖVP haben alles Emanzipatorische hinweggefegt. Es gibt natürlich viele Frauen auf der Regierungsbank. Aber die sagen eben, dass die Österreicher europäische Patrioten sind. Was mit den Österreicherinnen ist, scheint nicht mehr wichtig. „Was man sagt, das ist man selber“, hat es im Kindergarten geheißen. Wütend wurde dieser Satz als Antwort auf Schmähungen zurückgezischt. Viel weiter hat sich die Sache hierzulande nicht entwickeln lassen. Die Außenministerin jedenfalls muss diesen Männerbund verteidigen. Funktioniert darin als Mann. Ist ein Mann. Und wahrscheinlich ein europäischer Patriot.
Im welligen Fernsehbild bekomme ich dann berichtet, Herr Haidersei mit dem Regierungspakt nicht mehr zufrieden. Vor zwei Wochenhat er ihn unterschrieben. Die Pensionsreform gefällt ihm nicht. Es geht um die Pensionen von Spitzenfunktionären der Kammern. In solchen Positionen gibt es keine Frauen. Die Frauenarmut, von der Pensionsreform verstärkt, die gibt es auch nicht. Erwähnt wird sie jedenfalls von niemandem.
„Ich hätte es gerne etwas weiblicher gehabt.“Sagt Frau Haider. Sie hat das Frauenvolksbegehren nicht unterschrieben. Das war ihr zu radikal. Und ihr Mann. Die Wohnung in Wien haben sie aufgegeben. Der Mann soll lieber jeden Tag nach Hause jetten. Ein Mann gehört nach Hause. Schließlich. Deshalb gibt es nur noch Familienpolitik und den Kinderscheck für junge Mütter. Damit sie auch zu Hause bleiben und nicht auf den überlasteten Arbeitsmarkt drängen. Gleichzeitig sollen aber Frauen auch länger arbeiten. Obwohl. Es wird den Frauen heimgezahlt. Denn gewählt haben sie Haider nicht so enthusiastisch, wie man es sich für den Kinderscheck erwartet hatte. 32 Prozent der Männer gaben der Haider-Partei ihre Stimme. 23 Prozent der Frauen taten dasauch. Und dass die FPÖ eine Männerpartei ist, zeigt das Wahlverhalten der Arbeiter besonders deutlich. 52 Prozent der Arbeiter gingen auf den herausfordernden Populismus Haiders ein. Von den Arbeiterinnen entschlossen sich dazu nur 25 Prozent.
„Ich war in dem Theater, das man Parlament nennt.“Sagt der FPÖ-Finanzminister. Mit 31 Jahren ist er der jüngste Finanzminister, den wir je hatten. Der BWL-Absolvent und Magna-Konzernmanager hat vor drei Jahren in Kärnten in der Landesregierung die Weisung erlassen, „öffentliche Aufträge nur noch an Baufirmen zu vergeben, die ausschließlich heimische Arbeiter oder Arbeiter aus EU-Ländern beschäftigen“.In meinem verwackelten Fernsehbild erklärt er, was das Theatralische am Parlament sei. Er folgt damit haiderischem Sprachgebrauch. Erst sagt er die Grundvereinbarung über etwas auf. In diesem Falldas Parlament. Dann erklärt er die Wörtlichkeitseines Vergleichs. Ermeint das ernst. Die Abgeordneten spielten doch Theater. Er sehe das jedenfalls so. Und dann schaut er unschuldig und beruft sich auf das Recht, eine Meinung haben zu dürfen. So funktioniert Verunglimpfung. So wird immer neue Unsicherheit hergestellt, die wiederum noch engeren Zusammenschluss um die Leitfigur und ihre sprachliche Deutung der Welt, der Vergangenheit und zur Zeit des bösen Auslands nach sich zieht. Dieser Klammerreflex wird so immer wieder neu verstärkt. Und Frauen. Frauen gibt es auch hier nicht. Sie können in der Männergruppe à la Mann mitmachen. Oder Marketenderinnen werden.Oder bleiben.
„Man muss verstehen, was nicht gesagt wird.“Sagt dann der Theaterdirektor und Schauspieler Helmut Lohner in der Kulturnach den Nachrichten. Er spielt Hofmannsthals „Schwierigen“. Dieses Stück über die Beziehungsgestörtheit eines Monarchiedandys wird in der Josefstadt aufgeführt. Es ist ein schwieriger Kampf der Frauen, bis sie dem Schwierigen beigebracht haben, dass er sich für eine von ihnen entscheiden soll. Immerhin. Frauen treten auf. Wenigstens als Nebenfiguren.
„Meine gigaschlanken Wadln / sind a Wunder für die Madln.“Singt der Anton von Tirol nach der Kultur in den „Seitenblicken“. Und eine dirndelige Geierwally lüpft neben dem Anton den Rock im Takt.
„Es gibt schon eine Gerechtigkeit.“ Sagt dann gleich darauf eine Kandidatin zu den Wahlen zur Miss Oberösterreich. Silke heißt sie. Und sie gewinnt nicht. Aber während die Kandidatinnen strengen Auswahlkriterien unterliegen, dürfen „die Juroren ins Gewicht fallen und Erfahrung haben“. Das heißt wohl, dass sie alt und fett sein dürfen. Zum Glück gibt es in dieser Jury nicht die übliche Alibifrau. Damit ersparen wir uns diese schwierige Argumentation, dass es Frauen gibt, die lieber bei den Männern mitmachen. Und das auch gegen andere Frauen. Die in der Mitte welligen Missen in meinem Fernsehbild stehen sehr brav und sehr schlank in ihren Bikinis vor den Juroren.
„Was mir an Wien abgeht? Der Kaffee!“ RuftClaus Peymann dann in der Werbung aus und wirbt für die Jubiläumsmischung einer Kaffeefirma. Auch Peymann ist schlangenwellig. Und damit verträglich. Wie alles nur verzerrt auszuhalten ist. Aber ich drehe ab. Muss abdrehen. Jeder Tag ist schockierend. Jeden Tag wachen wir zu schockierenderen Meldungen auf. Heute hat uns Argentinien geächtet. Gestern hat Haider Churchill einenVerbrecher genannt. Der tägliche Schock lähmt. Betäubt. Wir sind vollends in einStück von Elfriede Jelinek geraten. Und der Vorhang fällt nicht. Das Projekt der Moderne scheint fürs Erste gescheitert. Und damit jeder Anspruch auf Emanzipation. „Braucht niemand!“, hat es zu feministischen Forderungen nun mehr als zehn Jahre geheißen. Der Postfeminismus wurde ausgerufen, und eine Koalition von rechten und katholischen Männern greift so etwas gerne auf. Befreiung von der Zwangsbefreiung heißt das dann.
Eine Frage bleibt. Warum hat uns die sozialdemokratische Frauenministerin nicht ein Paradies des Feminismus eingerichtet, das nicht mehr wegzudenken wäre? Heute ist nichts von dem bisher Erreichten politisch sicher.
Als könnte von vorne begonnen werden. Beim Gehen durch Wien.
16. JÄNNER 2001
Vom Balkon im obersten Stock des Hotel Bristol fotografiert ein Mann. Er reagiert nicht auf Winken. Er fotografiert weiter. In der Taubstummengasse drängen sich Partygäste an den Fenstern in der Beletage. Sie halten die Hände neben die Gesichter, um in die Dunkelheit hinaussehen zu können. Auf die Straße hinunter. Auf die Demo. Wir winken hinauf. Die Menschen treten zurück. Rasch. Ein Haus weiter. In einer Wohnung weit oben. Jemand dreht das Licht an und ab. Zweimal lang. Einmal kurz. Wi-der-stand. Wir pfeifen mit den Lichtsignalen mit. Zweimal lang. Einmal kurz.
Vorher. An der Ecke Prinz-Eugen-Straße und Theresianumgasse. Die Polizei hatte den Zugang zur türkischen Botschaft versperrt. Es war der zweite Tag der Überrennung der Gefängnisse durch das Militär in der Türkei. Während der Zug wegen dieser Sperre stockte und sich nicht gleich in die Theresianumgasse lenken ließ, begann der ältere Herr auf dem Gehsteig zu randalieren. Wir sollten aufhören. Er rief das wütend und entsetzt. Nasalierend im feinsten Oberschichtwienerisch beschwor er immer wieder die Rechtlosigkeit der Straße. Und dass es immer so begonnen hätte. Auf die Frage, warum ihn denn eine Demonstration so aufrege, warf er den Kopf zurück und riss die Arme in die Höhe. „Ihr haltet den Verkehr auf!“ Und. Beim Autofahren. Da handle es sich ja schließlich auch um ein Recht. Und. Wir sollten uns schämen. Dann ging er davon. Angeekelt.
Es geht nicht immer so väterlich rügend ab. Es gab schon Kübel Wasser, die über die Demonstranten ausgeleert wurden. In den engen Gassen des achten Bezirks ist das wirkungsvoll. Oder hinter dem Westbahnhof. Dafür wurde da auch immer freundlich zurückgewunken. In der Lange Gasse gibt es immer eine rote Fahne aus einem Fenster. Lichtsignale. Und Hupkonzerte im Widerstandstakt. Und dann wieder einmal die brennende Zigarette heruntergeschleudert. Und „Ihr Arschlöcher“ hinterdrein. Aber das war im Sommer. Mit den offenen Fenstern. Jetzt im Winter kommuniziert es sich nicht so leicht. Es sind auch nicht mehr so viele, die am Donnerstagabend gehen. Nicht mehrZehntausende wie im Februar. Beim War-
ten. Bei der Botschaft für besorgte Bürger. Da, wo der Ballhausplatz und der Heldenplatz zwischen Volksgarten und dem josephinischen Trakt der Hofburg zusammentreffen. Da sieht es jetzt lange so aus, alskäme diesmal niemand. Und dann reicht der Zug auf dem Ring doch von der Mariahilfer Straße bis zum Volksgarten zurück. Und die melancholischen Kinder ziehen wie- der durch die Straßen.
Wir gehen. Und die Polizei riegelt den Verkehr ab. Leitet um. Hältauf. Marschiert mit oder voraus. Damit die melancholischen Kinder kein Verkehrschaos anrichten. Oder gar vor die Botschaft der USA wandern. Oder vor die türkische, wie vorige Woche. Und wie in der netten Kernfamilie wird das widerspenstige Kind an der langen Leine gehalten. Immer in der Hoffnung, das Kind fände von allein in die Ordnungzurück.
Darum geht es. Es geht um Ordnung. Es geht um die Ordnung außen. Um die öffentliche Ordnung. Diese Regierung ist auf demokratischem Wege zustande gekommen, heißt es da. Jörg Haider habe sich zurückgezogen. Alles ginge mit rechten Dingen zu. Das stimmt dann ja auch. Die Normalisierung scheint mir ziemlich abgeschlossen. Die Normalisierung, die eine Entpolitisierung ist, hat die Gegenkultur von rechts ganz selbstverständlich in den öffentlichen Text eingearbeitet. Die Medien funktionierenschon wieder wie immer. Begriffe wie „Gesinnungsgemeinschaft“, „Inländerfeindlichkeit“ oder „pragmatische Abtreibungsdebatte“ oder „Sexualtäterkastration“ beschreiben politischen Alltag. Und fraglos so.
Im Wahlkampf in Wien finden sich Wahlkampfaussagen der Freiheitlichen Partei, die das „Ausländer raus“ nun als „Kampf um einen Einwanderungsstopp“ umformuliert, sich aber im „Kampf gegen Drogendealer“ 1000 Nigerianern machtlos gegenübersieht, das aber wiederum mit einem „Kampf um mehr Sicherheit“ bekämpfen will. In diesem öffentlichen Text wird nur noch von Kampf gesprochen. Als befände Wien sich in einem Belagerungszustand. Als müssten übermäch-tige Kräfte von außen abgewehrt werden. Von solchem Geschrei verdeckt, wird in Politik und Wirtschaft raschvollendet, worin Österreich – waren das dieSozialpartner? – einenSchritt der übrigen Welt hinterherhinkte. Unterder Überschrift „Globalisierung“ wird Strukturbereinigt und fusioniert und immer gläubig genickt zu allen Wirtschaftsnotwendigkeiten. Das ist natürlich hiernicht anders als überall. Aber hier ist es mit diesem fahrlässigen und nie geänderten Sprachgebrauch verbunden. Da gibt es zum Beispiel eine Rechtssprache, die, nie verändert, weiterhin eine autoritäre Umschreibung von Wirklichkeit ermöglicht. Da ist die Sprache der Politik, die, nie verändert, schlimmste Aussagen ein bisschen umformuliert, und niemand regt sich mehr auf. Da sind die Mediensprachen, die sich schon immer das „anything goes“ ein Anliegen sein ließen. Da liegt ein öffentlicher Text vor, der alle Kunstgriffe jeder Avantgarde usurpiert hat und benutzt. Auch das ist hier nicht anders als überall. Aber hier wird dieses Gebrauchsdada in der Politik zur populistischen Wahrheit in aller Provinzialität.
In diese Ordnung soll zurückgefallen werden. Oder zurückgekehrt. Die melancholischen Donnerstagsgeher und -geherinnen sollen so lange durch die Stadt ziehen, bis sie es begriffen haben. Oder es ihnen zu blöd wird. Weil sie etwas anderes zu tun haben. Oder etwas Besseres.
Eine besonders perfide Form der Erziehung ist das freundlich lächelnde Abwarten der Erzieher, bis der oder die zu Erziehende es selbst herausgefunden haben. In amerikanischen Fernsehserien stehen die Kinder dann vor den Eltern und gestehen, dass die Eltern recht gehabt hätten. Dann dürfen sie die Eltern umarmen. „I love you.“ „I love you too.“ Und wieder ist eine perfekte Demütigung ganz nebenbei gelungen. Ist das die Erwartung unseres Bundeskanzlers, vor dessen Büro sich jede Woche ein paar Tausend Menschen versammeln und ihrer Ablehnung so Gestalt verleihen? Gibt es diesen elterlichen Tagtraum vom Eingeständnisdes Kindes, es falsch gemacht zu haben, in dem die Eltern sich so schön bestätigen können? Warum nicht. Bundeskanzler zusein garantiert noch keine kitschfreien Tagträume. – Während also nun das Establishment auf diesen Augenblick der Selbstaufgabe wartet. Oder auf die Selbstauflösung, weil niemand mehr zu den Demos kommt. Währenddessen gibt es ja auch den Ruf nach einem Programm. Nach Organisation. Aber.Es gibt weiterhin keinAlphatier, und es gibtkeinen Alphatext. Es gibt keine Organisation. Wenn ich vom Heldenplatz am Donnerstagabend aufbreche, dann gehe ich hinter keiner Fahne her. Ich ordne mich in keinen Sprechchor ein. Zweimal lang. Einmal kurz. Wi-der-stand. Der kleinste gemeinsame Nenner ist Antirassismus, doch das ist eine Menge in diesem Land.
Mein Lieblingstransparent wird von ei- ner jungen Frau getragen. An einen Besenstiel ist der Boden einer Bananenkiste geklebt. „Gegen die tägliche Beleidigung“ steht auf dem Karton. Mit diesem Spruch geht es über den Ring am Parlament vorbei die Josefstädter Straße hinauf. Oder um den Ring zur Börse. Es wird schnell gegangen. Es wird viel geredet. Und dazwischen gepfiffen.
Die Straßen sehen anders aus von der Straßenmitte. Die Häuser fallen ganz anders über einen, und die Alleen haben einen Himmel. Von der Straßenmitte ist der Verfall zu sehen. Die Ketten von geschlossenen Geschäften. Die Straßenzüge, die schon die Überlebensversuche mit den Sexshops hinter sich haben. Mit den Asialäden und den Schnitzelhäusern. Die Stadt hat einen anderen Klang. Von der Straßenmitte und ohne Autoverkehr.
Und jedesmal bei diesem Gehen in der Straßenmitte ist es so, als könnte von vorne begonnen werden. Als wäre ein Neuanfang möglich. Als könnte mit dem politischen Denken neu begonnen und alles gedacht werden, was bisher immer vorgesagt worden war. Diktiert. Im Gehen durch die schöneren oder schäbigeren Straßen ist der Ausdruck für ein politisches Hier und Jetzt zu finden, das sich in diesem Wust von politischem Text zumindestdarstellen lässt. In diesen Gängen und Wanderungen durch die Stadt. In diesem politischen Flanieren ist eine basale politische Existenz ausgedrückt. Und zumindest Angstlosigkeit. Zuerst einmal für jeden und jede. Zwanglos. Das ist nur ein Hauch von Anarchie. Aber immerhin ein Weg aus einer weiteren Verdrängung und durchaus nicht landesüblich.
13. JÄNNER 2010
Wir hatten recht, und wir machten es richtig.In der Rückschau. Das Jahr 2000 in der österreichischen Politik war der Beginn einer Verwandlung, in die wir gezwungen wurden. Diesem Zwang ganz einfach davonzugehen war die richtige Antwort. Und die einzige.
Im Jahr 2000 wurden wir mithilfe der Effizienzideologie in eine postmaterialistische Welt eingewiesen, in der die Globalisierung und der Kapitalismus einander ergänzend die Hierarchien horizontal ausbreiten konnten. Seit 2000 müssen wir täglich lernen, dassallein der Zugang zu Ressourcen über die Möglichkeiten bestimmt. Demokratie kann daraus nicht geschaffen werden. Demokratie verkümmert bei dieser Art der Gliederung. Es wäre ja darum gegangen, die Hierarchien abzubauen und nicht nur im Raum zu drehen.
Der mit 2000 eröffnete öffentliche Marktplatz, der nicht demokratisch organisiert ist, sondern wieder nur über den Besitz von Ressourcen betretbar wurde. Dieser öffentliche Marktplatz stellt eine Mittelalterlichkeit in der Struktur nach und benutzt gleichzeitig metaphysische Motive zur Selbstdarstellung. So kamen die Burschenschaften wieder in ei- ne Selbstverständlichkeit. Gewalt wurde wieder männliche Domäne und gleichzeitig entstaatlicht. Christlicher Glaube bietet sich als Coaching-Instrument an. Der Kardinal sagt, dass die Kirche eine Tankstelle der Seele sei. Und während wir alle auf Haider starrten, übernahm Raiffeisen die Nachfolgestaaten des Warschauer Pakts, die schon in der Monarchie zu Wien gehörten, und die Außenpolitik unterstützte deren Eintritt in die EU. Globalisierung ging plötzlich von Österreich aus. Bündepolitik. Verwirtschaftlichung der Bildung. Zwangseingemeindung der „freien Geister“ in die Kammer der gewerblichen Wirtschaft. Der Terror der Bürokratie als tägliches Erlebnis.
Da fällt es einer nicht schwer, sich das Treiben auf einem mittelalterlichen Marktplatz vorzustellen. Mit den Monopolen der Zünfte. Mit all den Steuern der verschiedenen Bünde. Mit den Wegelagerern, die sich den Rest holen wollen. Und am Ende steht dann unsereine selber da und muss betteln.
Allein dafür war es gut, diese Stadt Wien auf allen Straßen zu begehen. Wir haben einander kennengelernt. Wir wissen heute, dass es damals viele waren, und wir können erwarten, dass wir einander wieder treffen. Wir haben einander geachtet. Beim Gehen. Wir haben sogar mit der Polizei ein Auskommen gefunden und damit dem staatlichen Gewaltmonopol unsere Reverenz erwiesen und uns an die demokratischen Spielregeln für die Gewalt gehalten. Wir wissen, dass wir sehr Verschiedene sind.
Heute. Wir sind alle andere geworden. Wir mussten andere werden. Wir werden uns aber miteinander immer auf diese luftige Freiheit der Bewegung einigen können, wenn der Wandertag beim Volksgarten hinten auf den Ring einbiegt.
Wenn die Politik und die Hochkultur die Selbsthilfegruppen der Eliten sind. Dann waren die Donnerstagswandertage die Selbsthilfemaßnahme der Anti-Eliten. Immerhin wissen nun alle, dass es diese Personen auch gibt. Irgendwann wird sich das dann sogar bezahlt machen. Schauen wir halt.