14.05.2007 · Text.
Der österreichische Winter.
Über Wolfgang Schüssels politische Rhetorik und die Kunst des „Vergessen-Machens“
Begonnen hat das alles 1986. Mit der Waldheim-Affäre war ein politisches Jetzt hergestellt worden, in dem das Lagerdenken der Ersten Republik wieder zum Einsatz kommen konnte. Wüste Beschuldigungen. Rüde Vorwürfe. Die Geschichte Österreichs in Faschismus und Nationalsozialismus wurde zum Argument degradiert. Geschichtsauslegung wurde die Grundlage für die politische Selbstbeschreibung und die politische Selbstermächtigung. Eine aus dieser Geschichtsauslegung erwachsene und in der Wahl von Waldheim ja auch erfolgreiche politische Selbstgerechtigkeit ermöglichte überhaupt erst das Jahr 2000. Und den Hass, der wiederum das Scheitern der Koalitionsgespräche mit der SPÖ und den Grünen ermöglichte. Steinernes Gesicht Das steinern entschlossene Gesicht Wolfgang Schüssels bei der Pressekonferenz zur Koalition der ÖVP mit der Haider- FPÖ war der Höhepunkt dieses politischen Jetzt des alten Lagerkonflikts. Alles das durfte geschehen in der Ablehnung der „Roten“. Musste so geschehen. Wolfgang Schüssel hatte sich in den Besitz der Geschichte gebracht. Der Ausspruch Waldheims, dass er ja wie Hunderttausende andere nur seine Pflicht erfüllt hätte. Diese Recht-Fertigung dieser einen Person Kurt Waldheim war durch die Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten zur Leiterzählung sanktioniert worden. Antidemokratisches Fühlen war mit Hilfe eines demokratischen Wahlverfahrens an die Spitze der Demokratie gelangt. Im Jahr 2000 triumphierte dieses politische Gefühl auch auf der Ebene der Regierungsmacht. Der österreichische Winter hatte begonnen. „Waldheims Darstellung seiner militärischen Vergangenheit steht in vielen Punkten nicht im Einklang mit den Ergebnissen der Kommissionsarbeit. Er war bemüht, seine militärische Vergangenheit in Vergessenheit geraten zu lassen, und sobald das nicht mehr möglich war, zu verharmlosen. Dieses Vergessen ist nach Auffassung der Kommission so grundsätzlich, dass sie keine klärenden Hinweise für ihre Arbeit von Waldheim erhalten konnte.“ So lautet der letzte Satz der internationalen Historikerkommission zu Waldheims Militärvergangenheit. Es ist wichtig festzuhalten, dass hier nicht Verdrängung beschrieben wird. Die militärische Vergangenheit soll „in Vergessenheit geraten.“ Kein Trauma oder eine Unerträglichkeit, die die Erinnerung in das Unbewusste verbannen muss. Das bleibt den Opfern überlassen. In diesem Kommissionsbericht wird eine Täterreaktion beschrieben. Vergessen und vergessenmachen, was man getan hat. Sich selbst die Tragweite der Tat klein reden. Sich selbst in Unwichtigkeit beschreiben. Sich selbst für diese selbsterfundene Selbstbeschreibung auch noch bemitleiden. Aus selbsterfundener Selbstbeschreibung erstandenes Selbstmitleid. Das ist die kleinliche und vermeiderische Erbschaft aus der Waldheim-Affäre, die Wolfgang Schüssel erst vollendete. Das ist die Erbschaft, die diesen starren und abwehrenden Blick Wolfgang Schüssels herstellte und ermöglichte, mit dem er bei der Pressekonferenz 2000 den protestierenden Holocaust-Überlebenden abwehren konnte. Vor den Kameras der internationalen Nachrichtenagenturen. Das ist die Erbschaft, die erst das Schweigen gegenüber allen Protesten und dann dieses starr amüsierte Lächeln über Fragen nach den Ermächtigungen dieser Regierung erlaubte. Besser als Waldheim Und weil die Erben ihr Recht auf die Erbschaft beweisen müssen, machte Wolfgang Schüssel es viel „besser“ als Kurt Waldheim. Während die Rede Kurt Waldheims als österreichischer Bundespräsident zum 50. Jahrestags des Anschlusses Österreichs an Hitlerdeutschland eine „korrekte“ Liste der zu bearbeitenden Motive der Geschichte ist, können in der Erklärung des Bundeskanzlers Schüssel zur 61. Wiederkehr des Tages der Befreiung Österreichs die Lücken sichtbar werden. Der Widerstand wird da nicht mehr genannt. Und während bei Waldheim der Holocaust „eine der größten Tragödien der Weltgeschichte“ ist, kommt er bei Schüssel gar nicht mehr vor. So funktioniert die Logik des Erbens. Die Umschreibung des Holocaust von einem Verbrechen, das von Tätern verübt wird, zu einer „Tragödie der Weltgeschichte“, die dann als unvermeidliche Entwicklung von den Tätern abstrahiert gesehen werden kann. Eine solche Umschreibung ist das Eintreten in das Erbe, bei dem nicht einmal verdrängt, sondern ganz klar „in Vergessenheit geraten“ soll, dass es sich um Taten und Täter gehandelt hat. Und wer Täter gewesen war und um welche Taten es sich gehandelt hatte. Und. Schüssels insistentes Eintreten für die Abschaffung der Erbschaftssteuer und die Widerstände dagegen. Das stellt genau diesen Vorgang auf einer praktischen Ebene nach. Das Unbehagen und die Insistenz. Sie sind auch Ausdruck der ungehobenen Gefühle diesem geschichtlichen Erbschaftstreit gegenüber. In der Regierungserklärung 2003 sagte Wolfgang Schüssel: „Wer immer in die Fußstapfen anderer tritt, wird nie jemanden überholen.“ Das ist postmoderne Haider-Spreche. Eine derart antikonservative Politsprache konnte Schüssel sich aneignen, weil er das übernommene Erbe erweitert hatte. Das über die Waldheim Affäre salonfähig gewordene Vergessen wurde auf das Wertesystem der Volkspartei ausgedehnt. Die von Haider eingeführte postmoderne Politsprache wurde in der Schüssel’schen Anwendung das wichtigste Instrument der Vermittlung des Einbaus Österreichs in die neoliberale Globalisierung. Dazu mussten alle strukturellen und individuellen Widerstände beseitigt werden. Die Reformen zerschlugen deshalb alle Institutionen der Kritik. Geistfeindlichkeit wurde offen zum Regierungsprogramm. In der Rede zur 61. Wiederkehr des Tages der Befreiung Österreichs heißt es: „Das ,Gedankenjahr 2005‘, mit den Wendemarken 1945, 1955 und 1995 imBlickfeld, war – nicht nur, aber auch – ein volles Jahr der Zeitgeschichte! Wir haben unsere jüngere und jüngste Geschichte in überraschender Breite und Tiefe erforscht. Wir haben das nicht akademisch abgehoben getan, sondern haben uns bemüht, alle mitzunehmen auf diese Bilderreise von Elend, Not, Zerstörung, Verrat, Niedertracht, Unmenschlichkeit – aber auch alle Bilder von Heldenmut, Unbeugsamkeit, Fleiß, Zuversicht und vom Lernen, Wiedergutmachen und Verzeihen.“ „Wir haben das nicht akademisch abgehoben getan, sondern …“ Der Redner des Texts gibt an, wie die Zeitgeschichte geschrieben wurde und führt in dieser Auskunft gleichzeitig die Beschränkung der Geschichtsschreibung an. „Nicht akademisch abgehoben“. „Akademisch“ heißt es da, das ist immer unverständlich. Übertrieben. Zu genau. Das müsseman sich nicht geben. „Abgehoben“. Nein. In diese übertrieben genauen Sphären der Intellektualität. Da müsste niemand hin. Da sollte niemand hin. Dahin könnte niemand „mitgenommen“ werden. Und war es da nicht immer jüdisch. Oder? Akademische Forschungsergebnisse und ihre Verpflichtung zur Wahrheitssuche. Genau diese Institution, die für solche „Abgehobenheit“ zuständig sein sollte, die Universität, wurde ja auch folgerichtig von der Regierung Schüssel zerschlagen. Anstelle von Versprachlichung wird eine Bilderreise unternommen. Auf die „alle mitgenommen“ werden können. Geschichte als Praterbesuch mit Geisterbahn. Und in der Aufzählung der Sünden und der wenigen guten Eigenschaften. Da wird Geschichte endgültig aufgelöst. Es gibt die Geschichte als Erzählung gar nicht mehr. Es gibt die Standbilder davon. Und einen Beichtzettel von Zuständen. Niemand ist mehr schuld an irgendetwas. Es gibt nur mehr eine Landschaft von Begriffen. Die Opfer. Die hat es von Anfang an in dieser Rhetorik nicht gegeben. Das ist ja die sich fortschreibende Katastrophe der Waldheim-Affäre. Alle Aufmerksamkeit den Tätern. Im Versuch, ihre Taten dieser „geschichtlichen Katastrophe“ zuzurechnen, konnte vergessen werden, dass die Opfer den Luxus einer solchen Auseinandersetzung nicht zu Verfügung haben und nie haben werden. Im „Vergessen-Machen“ der Täterschaft wird die Verdrängung der Opfer betrieben. Darin hat diese politische Rhetorik grausamste Methode. Und. Diese Methode wird heute auf die existierenden Opfer einer neoliberalen Politik angewandt. Mit Wolfgang Schüssel wurden diese durchaus postmodernen Sprachregelungen in der österreichischen Innenpolitik etabliert. Es wird sich zeigen, wie weit sich die Neuauflage der großen Koalition als Neuanfang einer politischen Sprache als Ausdruck einer neuen Politik entwickeln kann. Demokratie muss gesprochen werden können. Dazu ist ein Streben nach Wahrheit nötig, das in die Sprache gehoben wird. Diese Versprachlichung ist jedem und jeder zuzumuten. Verantwortung ist die Grundlage dieses Vorgangs. Ver-Ant-Wortung. Katholischer 68er Wolfgang Schüssel, als katholischer 68er. Die Leichtigkeit des Achselzuckens über das Abtreten. „Hören Sie doch auf! Ich bin einer, der für die Gegenwart lebt, durchaus gedanklich sich mit der Zukunft beschäftigt, aber sicher nicht mit der eigenen Karriereplanung. Das hat mich nie interessiert.“ Oder. „Macht in dem Sinn bedeutet mir nicht das A und O – als Instrument ist sie notwendig, aber als Identitätsmerkmal überhaupt nicht.“ (Standard-Interview vom 14. 3. 2007). Wenn Macht nichts bedeutete, obwohl sie vorhanden war. Wenn die Macht ein notwendiges Instrument war. Kein Merkmal einer Identität. Hat er nicht auch wie viele vor ihm seine Pflicht erfüllt. Und. Diese Behauptung, nichtwichtig zu sein, obwohl man natürlich wichtig war. So eine öffentliche Bescheidenheit. So ein Sich-klein- Machen. Das ist auch Vergessen-Machen der Person. Die Folgen der Politik können dann wieder hinter dem Vergessen verdrängt werden. Die Opfer wären in diesem Fall wir. Heute. Wird es Frühling werden. Jetzt?