Werk.

03.02.2000 · Text.

Erzieher Schüssel.

TAZ, Die Tageszeitung. Kultur. S. 16. 03.02.2000

Zuerst sagt Haider Ungeheuerlichkeiten. Und kann sich dann lustig entschuldigen.

Zuerst einmal. Es ist unerträglich, daß bei der Pressekonferenz, bei der das österreichische Regierungsprogramm  vorgestellt wird. Daß bei dieser Pressekonferenz ein Holocaustüberlebender aufsteht und fragen muß, ob der Holocaust weiterhin für Jörg Haider ein Randthema ist. Noch unerträglicher ist es dann, wenn dieser Mann von Haider in abschätzigem Ton auf Haiders Bücher verwiesen wird. Da könne er alles lesen. Nächste Frage. Bitte.

Dieser abschätzige Ton. Dieses rasche, kalte und immer emotional aufgeladene Hingerede. Das hat die politische Dynamik der letzten Tage hier bestimmt. Am Montag  war das so: Am Vormittag gibt es keine Entschuldigung von J. Haider. In Kärnten. Nicht wegen der Verunglimpfung von J. Chirac. Nicht wegen der Beschimpfung der belgischen Regierung. Im Brustton der Selbstgerechtigkeit  wird jede Entschuldigung zurückgewiesen. Am Nachmittag. In Wien. Da gibt es dann eine Entschuldigung. Konditional. Da steht Haider dann auf einem Sternparkettboden vor Ölgemälden und Goldverzierung. Zwischen Vormittag und Nachmittag  gab es einen Anruf von W. Schüssel bei J. Haider. Und in diesem Anruf hat W. Schüssel J. Haider Vernunft beigebracht. Sagt Schüssel. Und das hat Schüssel in einem Pressegespräch am Sonntag  versprochen. Menschen lernten, hatte Schüssel da gemeint. „Warum nicht politische Bewegungen?“ Er warf Haider „Mangel an Wissen und Sensibilität“ vor. Aber. Haider werde es lernen, meinte er. Schüssel übersieht dabei, daß Haider es immer sagt. Zuerst einmal sagt Haider seine Ungeheuerlichkeiten. Hat sie gesagt. Und kann sich lustig entschuldigen. Nachher.

Am Dienstag soll es dann gleich den Koalitionspakt geben. Das Papier, das den Bundespräsidenten zwingen soll, Schüssel zum Bundeskanzler zu machen. Um 18.00 Uhr  wird die Pressekonferenz sein. Dann um 19.00 Uhr. Dann um 20.00 Uhr. 20.15. 21.00 Uhr. Europa hat die Teilnahme der FPÖ an einer Regierung abgelehnt. Die USA werden ihre Beziehung zu Österreich überdenken. Trotzdem. Die Koalitionsverhandlungen gehen weiter. Denn. Wolfgang Schüssel will Kanzler werden. Unter allen Umständen. Diesen Mann haben wir vor der Wahl sagen hören, er ginge in die Opposition. Ganz sicher. Wenn seine Partei hinter die FPÖ zurückfalle. Die ÖVP fiel hinter die FPÖ zurück. W. Schüssel ist nicht in Opposition. Nein. W. Schüssel hat sich neue Partner gesucht. In der Politik und privat. Umbruch im Leben. Aufbruch. Lebensabschnittsproblematik und ihre Bewältigung. Die private Seite? Na gut. Das passiert. Und Schüssels Frau, die gegen Haider war, ist nicht mehr die Frau, mit der er sich bei halboffiziellen Anlässen sehen läßt. Katholisch-christlich ist das nicht für einen, der sich selbst als Christdemokraten bezeichnet. Da gilt, glaube ich, immer noch die Unauflöslichkeit der Ehe. Aber solche absoluten Maßstäbe sind nicht mehr gültig. Nicht privat. Und nicht öffentlich. Und deshalb ist das Private hier interessant.

Und interessant bleibt das Katholische. W. Schüssel und seine ÖVP  wollen die FPÖ in die Demokratie missionieren. „Diese rechtspopulistische Partei des Herrn Haider ist nun bereit, diesen Koalitionspakt zu unterschreiben“, sagt die Generalsekretärin der ÖVP. Sie spricht von Wandlungen. Der Ministrant Schüssel, der nicht haben möchte, „daß Menschen bei uns nicht gut behandelt werden“, der will „daß die Vergangenheit nicht mehr gilt.“ Er selbst will der Garant für die Wandlung der FPÖ sein. „Solange ich politisch atme“ sagt er dann. Und er verspricht einen Entschädigungsfond für Zwangsarbeiter. Auch hier bleibt Schüssel katholisch. Vorreformatorisch betreibt er Ablaßhandel. Das politisch Korrekte und Opportune gegen die Salonfähigkeit Haiders und der FPÖ und dafür  dann wieder ein Amt für Schüssel. Das Amt. Den Bundeskanzler.

Das Ausland reagiere überzogen. Das habe ihn noch entschlossener gemacht, sagt Haider und eilt durch die Säulenhalle des Parlaments. Na klar. Die Belgier sind korrupt und die Österreicher unschuldig. So redet  Haider. Aber Schüssel wird ihn retten. Ist der ihn weihende, einweihende Priester. Und Schüssel hat in dieser Rolle neuen Mut gefaßt und seinen besserwisserischen Predigtton verstärkt. Schüssel spricht in einer Mischung aus Pathos und Therapiesprache über die Probleme hinweg, die er als Außenminister einschätzen hätte müssen.

Reicht es wirklich, daß 2 Männer an die Macht wollen. Unter allen Umständen. Und daß dann alles schwierig wird. Durcheinander gerät? Es reicht. Der unbändige Wille zur Macht von 2 Männern hat Österreich in eine tiefe und vollkommen unnötige Krise gestürzt. Schüssel geht eine Partnerschaft mit einem politischen Partner ein, den er  erst erziehen muß. Der sich verändern muß. Und die Besorgnis von außen? Ach ja. Das sei ein Punkt, den er sehr wichtig nähme. Sehr, sehr wichtig, sagt Schüssel, als säßen wir alle in einer Familientherapiesitzung. Sehr, sehr wichtig ist Schüssel das Amt. So viel haben wir schon verstanden. Sachthemen können da keine Rolle spielen. Und Haider. Haider kennt nur Ziele. Vor allem das eine. Bundeskanzler werden. Herrschen will er dann. Ausmisten, nannte er das. Schüssel darf vor ihm dahin. Muß ihm das Amt warm halten. Gleich kann der Jörgl ja da nicht hin. Er muß noch ein bißchen erzogen werden.