Werk.

05.03.2016 · Text.

Frausein in Österreich: Schön. Fleißig. Gehorsam. Gut.

Der Standard. Album Geschlechterverhältnisse. 05.03.2016

Eine Goldmarie wird eine, die immer das Richtige tut, ohne wissen zu können, was das Richtige ist. Die Regeln, wie frau zu ihrem Lohn kommt, werden nicht bekanntgegeben. Das ist im Märchen und im Leben so. (Der Standard)

Schön. Fleißig. Gehorsam. Gut. Die Goldmarie aus dem Märchen von der Frau Holle. Heute. Wir können sie uns gut vorstellen, wie sie bei einem Schönheitswettbewerb in den USA auftritt und etwas für den Weltfrieden machen will. Im Talentwettbewerb tritt die Goldmarie im Polsterschütteln an und kann die Pölster so beim Fenster hinaushalten, dass „ihr Dekolleté optimal präsentiert ist“. Wir sehen sie vor uns, wie sie vor Heidi Klum posiert und wie Heidi Klum ihr das Foto reicht und sie für die „Glaubwürdigkeit ihrer erotischen Pose“ lobt. O ja. Die Goldmaries. Die machen das alles richtig. Die lächeln jeden Dolm strahlend an. Die stehen jeden Tag zeitig auf, damit die Gesichtsentwässerung funktioniert und die Gesichter auch auf Video schon am Morgen gut ausschauen. Die Augen groß. Die Backenknochen scharf definiert. Und wenn dann ein Donald Trump oder auch ein Hugh Hefner sich der Goldmaries annimmt, dann lässt sich so eine Goldmarie von seinem Charme und seiner Überzeugungskraft sofort überzeugen. Jedenfalls sagen sie das in Interviews. Die Goldmaries nehmen da nämlich ihre Chancen wahr. Die Goldmaries arbeiten nicht mehr für Kost und Quartier für die Frau Holle. Sie lassen sich nicht mehr ausbeuten, wenn sie ihren Körper zur Schau stellen und einem Urteil aussetzen. Heute. Nach dem neoliberalen Umbau der Massen. Heute legen sich alle zum Geldverdienen als Beute aus, und das wird professionelles Verhalten genannt. Regeln der Selbstzurichtungen Gerade eben. Oscarnacht. Roter Teppich. Schauspielerinnen. Die kostbarsten Abendroben. Der sagenhafteste Schmuck. Die Fotografen bilden eine Gasse, die die Schauspielerinnen entlangwandern. „Alicia Vikander in Louis Vuitton at the Oscars 2016“ wird dann zu lesen sein. In den Modeblogs wurde diesmal von „goddess dresses“ und „fairytale gowns“ geschwärmt. Und. Wie das für Frauen immer üblich war und heute die gesamte Dienstleistungsgesellschaft betrifft. Nach fünf Stunden Vorbereitung. Make-up. Frisur. Body-Make-up. Nach all den Besprechungen und Anproben. Nach den vorangehenden Beautyregimes. Nach genügend Schlaf und ungenügend Alkohol und anderen Drogen. Diese Frauen arbeiten die ganze Zeit daran, den Gang über den roten Teppich nicht als Arbeit aussehen zu lassen. Das bleibt aber Dienstleistung. Dienstleistung, glamourös performiert. Arbeit also, die in der neoliberalen Kultur sich selbst verleugnet. Die neoliberale Kultur kann sich da auf die Frau in den Medien verlassen. Und. In der neoliberalen Kultur geht es um zwei Dinge. Es müssen unter allen Umständen die Regeln der Selbstzurichtungen verheimlicht werden, und dann wird trotzdem gelogen. Die weibliche Schönheit, die sich da auf dem roten Teppich feiern lässt. Die ist die Festhaltematrix für die Marken, die die Frau da trägt. Es ist die Umhüllung, um die es geht. Nicht anders als im Märchen geht es um die Bedeckung der Haut. In allen Kulturen. Religionen. Wie sind Frauen bedeckt, und die Mode ist auch nur eine andere Form dafür. Aber. Die Goldmaries tragen nur noch geborgte Roben und geliehenen Schmuck. Das Gold klebt nicht mehr auf ihrer Haut. Die schönen Kleider gehören nicht mehr ihnen. Ihre abenteuerlose Schönheit ist brav im Rahmen der Markenerfordernisse gehalten. Sie selbst. Sie spielen auch auf dem roten Teppich ihre Rolle und arbeiten. Die Inszenierung benutzt weiter den alten, sexistischen Blick auf die Frau. Es ist die Freiwilligkeit der Auslieferung der Schauspielerinnen, die diesen Blick verschleiert. Heute. Heute legt eine Frau sich selbst als Beute aus und weiß das. In Hollywood wird das dann auch einmal Selbstermächtigung genannt. Und in der Tat. Ohne den Anspruch, die Selbstbestimmung selbst zu bestimmen. Ohne diesen Anspruch schauen ja viele Maßnahmen der Unterdrückung nach Emanzipation aus. Die Reality-Dramaturgie von Medienereignissen wie der Oscarnacht oder Heidi Klums Top-Model-Wahl verwandelt das Feilbieten seiner oder ihrer selbst zum Drama des Persönlichen und beutet damit die da arbeitenden Personen endgültig in ihren tiefsten Lebensentwürfen aus. In der globalisierten Medienprovinz, in der wir leben, wird diese Ausbeutung zum alles überstrahlenden stilbildenden Faktor. Denn. Während die verführerische Auslobung der Selbstausbeutung global vermittelt wird, bleiben die einzelnen Leben regional zugewiesen. Aber das ist Globalisierung. Die Entfernung vom Zentrum zur Peripherie wird nicht wahrgenommen. Das verführerische Zentrum ist immer nur einen verführerischen Bildschirm weit weg. Nun kann Emanzipation als Befreiung aus verschuldeter oder unverschuldeter Abhängigkeit nicht einmal als Überschrift global gedacht werden. Zu kleinteilig müssen die Antworten auf die innere und äußere Mittäterschaft gegeben werden. Zu genau muss auf die Geschichte von Unterdrückung und Widerstand eingegangen werden. Zu komplex sind die Faktoren, die die Abhängigkeiten bedingten. Die Geschichte der Emanzipationen kann gar nicht alltäglich klein genug gedacht werden. Am Märchen von der Frau Holle. Da lernten die kleinen Mädchen, wie eine zur Goldmarie wird. Schön. Fleißig. Gehorsam. Gut. Eine Goldmarie wird eine, wenn sie immer das Richtige tut, ohne wissen zu können, was das Richtige ist. Die Regeln, wie frau zu ihrem Lohn kommt, diese Regeln werden nicht bekanntgegeben. Das ist so im Märchen, und im Leben ist das ganz genauso geblieben. Für Frauenleben. Anspruch und Wirklichkeit haben nichts miteinander zu tun. In den 60er-Jahren war das widersprüchlicher. Heute ist das einfach nebeneinander geschichtet und der Widerspruch den Schicksalen der Einzelnen überlassen. Pech gehabt, wenn so eine Marie sich in der Wahl ihrer Lebensziele vertan hat. Denn. Der Staat kann sich in der oberhauptlos gedachten Familie nicht mehr repräsentiert sehen und sieht sich durch die Aufgabe dieser Repräsentation durch den Haushaltsvorstand auch vieler Pflichten enthoben. Der Mann blieb unbesprochen Jedenfalls wir. Hier. In Österreich. Österreichisches Frauenleben. Nun. Die österreichische Frau ist eine umständliche und über Jahrzehnte herbeigebastelte Konstruktion. Wie nicht anders zu erwarten, erfolgt diese Bastelei in der Art der Konstruktion von Eva. Dem Adam wird etwas herausgeschnitten, und daraus diese Eva zusammengesetzt. In einer Nachstellung des biblischen Konstruktionsvorgangs wurde in langer und ideologisch umkämpfter Reformarbeit dem Familienvorstand des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1811 ein Recht nach dem anderen entzogen und die Pflichten der Frau übertragen. Das wäre auch anders möglich gewesen. Es hätte einen Entwurf von Geschlechtergerechtigkeit geben können, der sich um die Lebensmöglichkeiten aller Geschlechter bekümmert hätte. Der Frauenbewegung ging es schließlich darum, neue Formen des Zusammenlebens herzustellen. Aber. Der umfassend herrschende und zutiefst reaktionäre Kulturkatholizismus ließ das nicht zu. Es ging um die Frauen und wie die leben sollten. Da wollten die Männer in der Politik mitbestimmen. Die Rechte des Patriarchen wurden abgeschafft. Die Pflichten aufgeteilt. Und. Der Mann wurde nicht neu definiert. Der Mann blieb unbesprochen das unbesprechbare Zentrum. Der Mann blieb unverrückt auf seiner nur anreformierten Position. Die Frauen wurden von ihm abgetrennt neu hergestellt. Das Gefälle aus diesen unterschiedlichen Gemachtheiten bekommen wir täglich vorgeführt. Und was machten die Männer daraus, nicht mehr das Familienoberhaupt zu sein. Waren die entlastet und nahmen diese Entlastung als Möglichkeit wahr, sich zu einer noch besseren Person entwickeln zu wollen. Stürzten sich diese Männer mit Liebe und Interesse in die gleichen Rechte und Pflichten den Kindern gegenüber. Oder blieb es bei dem Gefühl der Berechtigtheit und des Besitzes der anderen. Wenn frau heute von ganz rechts, sogar von Abgeordneten, den Satz liest, „Auf dass der Mann sich als Mann setzt, muss er die Frau zum Ding bzw. zur Ware herabsetzen“, dann kommt einer schon der Verdacht, dass hier keine Rekonstruktion des Männlichen stattgefunden hat und der Hausvater des Bürgerlichen Gesetzbuchs immer noch gelebt wird. Mit allen Vorteilen der Pflichtlosigkeit. Immerhin wurde 1975 die Gleichberechtigung der Frau ausgerufen. Die Frau musste dem Familienvorstand nicht mehr folgen. Sie durfte arbeiten. Der Ehemann konnte ihr das nicht mehr verbieten. Es gab kein Familienoberhaupt mehr. Aber wieder. Während für die Frau darüber diskutiert wurde, ob die Gleichberechtigung der Frau in die Verfassung eingetragen werden musste, blieb der Mann der angestammt Berechtigte. Macht ist immer genau so. Die Macht ist immer am größten, wenn sie so selbstverständlich mitgedacht ist, dass sie gar nicht sichtbar werden muss. Selbstverantwortung der Frau Dann wurde 1978 auf Betreiben der ÖVP in der Scheidungsrechtsreform die Mutterrolle abgeschafft. Frauen sollten kein Geld mehr dafür bekommen, wenn sie im Fall der Scheidung die Betreuung der Kinder übernähmen. Die Absicherung der Person, die die Kinder betreute, fiel weg. Damals wie heute sind das überwiegend die Frauen, die die Kinderbetreuung übernehmen. Gleichzeitig wurde die Frau damals überhaupt erst ein selbst bestimmtes Privatrechtssubjekt. Die österreichische Frau konnte von da an endlich die volle Selbstverantwortung übernehmen. Aber tat sie das. Konnte sie das. Oder kam diese Selbstverantwortung wie ja heute auch erst dann richtig an die Oberfläche, wenn die Sache mit dem Ehemann schiefgegangen war. Die Mädchenerziehung unternahm jedenfalls nichts, diese Selbstverantwortung zu einem positiven Faktor der Lebensgestaltung zu machen. Erziehung und Bildung produzierten weiter Goldmaries und Pechmaries, und die Kultur tat das ihrige. Bis heute sitzen diese Goldmaries und Pechmaries in den Tempeln der Hochkultur und lassen sich widerspruchslos mit patriarchaler Kost päppeln. Dass die Klassiker und eine chauvinistische Unterhaltungskultur den unrekonstruierten Anteil in der Männerkonstruktion „österreichischer Mann“ pflegen und hüten, das wird wohl sogar bewusst in Kauf genommen. Und von allen politischen Richtungen. Der erastianische Katholizismus hierzulande hat nur sehr melancholische Personen zugelassen, die ihre Aggressionen gut in ihre eigene Melancholie einbauen und – um Gottes willen – nicht rebellieren. Die nun ein wenig erstarkte Frau übernahm in der Hoffnung, sich der Ebenbürtigkeit zu nähern, alle diese Formen. Es sind nun also auch die Frauen melancholisch und in ihrer Aggressivität gehemmt. Weil sie aber auch noch in Anteilen vormoderne Frauen sind, deshalb haben sie dann ein schlechtes Gewissen, den Männern ihre Rechte abzufordern. In dieser Melancholiepflege bleiben die eigenen Rechte von Frauen auf der Strecke. Aus Scheidungsverfahren wissen wir, dass viele Frauen im letzten Augenblick auf die Forderungen der Männer eingehen und schwere Nachteile für sich in Kauf nehmen. Heute stehen wir mit dem nicht ganz rekonstruierten Mann da (Ausnahmen immer), dem aus der Politik von rechts signalisiert wird, dass es die Wahlmöglichkeit gibt. ÖVP und FPÖ bestehen in ihren Wahlprogrammen auf der Wahlmöglichkeit. Schon im Anspruch, die eigenen Kinder eigen erziehen zu wollen, liegt eine Art Besitzanspruch auf diese Kinder. Die Vorstellung, dass die Frau sich ganz diesem eigenen Weg widmen soll, wird als Freiheit verkauft. Eine Freiheit vom Staat soll das wohl sein. Diese Freiheit gilt dann aber auch nur, solange es dem Mann in der Wahlfreiheit gefällt. Im Fall der Scheidung stünde die wahlfreie Frau ohne jede Versorgung da. Nicht nur hält diese Wahlfreiheit den Mythos von der Eineinhalbkarriere des Manns aufrecht. Nicht nur wird die Lüge vom Familienerhalter ideologisch verstärkt. Die Frau sieht sich gezwungen, in einem Scheidungsprozess einen Schuldspruch des Manns zu erwirken. Ihre wirtschaftliche Absicherung hängt vom so bestätigten Verschulden des Manns ab. Eine hässlichere Abhängigkeit kann es nicht geben. Die Lehre aus dem Märchen Und die Lehre aus dem Märchen. Die Pechmarie, die am Morgen nicht aus dem Bett kommt und die für die Schönheitskonkurrenz nicht aufstehen würde, sondern Entwässerungsmittel nähme. Die Pechmarie, die keine Kinder hat, weil sie das Brot nicht aus dem Backofen nehmen will und keinen Baum schütteln wird. Die Pechmarie kommt halbwegs heil aus der Sache heraus. Die einvernehmliche Scheidung beteiligt sie am ehelichen Vermögen, und weil sie sich in die E-Mails gehackt hat, weiß sie auch, wie groß das ist. Die Pechmarie ist enttäuscht und geht ihrer Wege. Es sind die Goldmaries, die es so trifft. Und wie schon im Märchen. Die Lebensentscheidungen werden immer noch nach ganz anderen Regeln getroffen, als dann zur Anwendung kommen. Weiterhin stehen über Nostalgie und kulturellen Antifeminismus Wünsche und Vorstellungen zur Verfügung, die nichts mit den realen Situationen zu tun haben. Unmögliches Glück wird versprochen. Das ist nicht anders als zu den Zeiten, in denen die katholische Kirche mit der Verdammnis drohte. Das Glück, das in den Marketingpredigten der Werbung und der Unterhaltung versprochen wird, ist dann genauso wenig vorhanden wie die Verdammnis von früher. In einem dem Antisemitismus verwandten tief angelagerten Antifeminismus wird solche Verführung zu einer Pflichtübung gemacht. Wir müssen immer mitdenken, dass Kulturinstitutionen wie das Burgtheater oder die Salzburger Festspiele als sprechmächtige Institutionen mit solchem Antifeminismus zu Beifall kommen. Und dieser Beifall wird durch Steuergeld subventioniert. Staatlich anerkannt. Also. Die Reste des Patriarchats In den Medien. Unter den Bildern der Oscarnacht. Da waren die Bilder und Videos von Tränengaseinsätze gegen Flüchtlinge. Von der Räumung des „Jungle“ in Calais. Kriegsberichte aus Syrien. Türkei. Die Welt ist in Aufruhr und Tumult. In solchen Zeiten weist es sich, ob Vorsorge getroffen ist und die guten Zeiten genützt wurden. Und das ist nicht der Fall. Wir leben nicht in einer offenen und gerechten Gesellschaft, die Demokratie ermöglicht. Wir leben in einer formalen Gleichberechtigung, die kulturell verhöhnt wird und die die reaktionären Kräfte nie zur Kenntnis nehmen mussten. Es ist die Klage zu führen, dass die Rahmenbedingungen für unsere Leben aus Resten des Patriarchats zusammengeflickt wurden. Für Männer und Frauen. Für alle Geschlechter. Und. Das wird die Politik der nächsten Zeiten grundieren. Wir werden alle dafür bezahlen müssen, dass das Leben selbst in unserer Kultur nie neu und umfassend gedacht wurde. Wir finden uns durch die Rahmenbedingungen gezwungen, reaktionär leben zu müssen. Ohne die äußersten Anstrengungen der Überwindung dieser Voraussetzung wird so jede Person reaktionär gemacht bleiben. Der sich andeutende Faschismus in unseren postchristlichen Gesellschaften beruht auf genau dieser Geschlechterpolitik. Wir werden den Kampf aufnehmen müssen. Wieder. Und heute wissen wir, dass es nicht weniger als einer Revolution bedarf, die Freiheit der Person umfassend zu garantieren.