29.10.2005 · Text.
Ausgrenzung: Gast. Fremd. Aus.
Österreich ist kein Land, in das man oder frau sich integrieren kann. Österreich besteht auf Abstammung. Österreicher sein wird so zum Schicksal. Im Bereich von Österreich gilt dann die Ausgrenzung aller nicht von Österreichern Geborenen. Eine Attacke. (Die Presse)
Zitat aus dem Roman „Nachwelt.“: „Manon kam ins Zimmer. Sie müssten fahren. Es würde bald dunkel. Ein großer blonder Mann kam hinter ihr ins Zimmer. Manon fragte ihn, ob alle Fenster gut verschlossen wären. Ob alle Sicherheitsmaßnahmen eingehalten würden. Der Mann nickte. Er trug einen weißen Overall. Er nahm die Decke von Albrechts Beinen und legte sie zusammen. Manon beugte sich zu Albrecht und küsste ihn. Er bekomme sein Fleisch so, wie er es gerne habe, sagte sie ihm. Und er solle ordentlich essen. Sie wolle keine Reste finden. Der Mann im weißen Overall hatte einen Leibstuhl auf Rädern ins Zimmer gerollt. Er begann, Albrecht aus dem Bett zu heben.“ Zitatende.
Der Mann im weißen Overall. Er hieß Mark und kam aus Polen. Er war der Pfleger von Albrecht Josef, dem Mann von Anna Mahler. Wenn von Arbeitsmigration die Rede ist, dann fällt mir dieser Mann ein. Wie er den alten Mann aus dem Bett hebt. Vorsichtig. Ruhig. Und wie der alte Mann sich ihm überlässt. Vertrauensvoll. Lächelnd. Und immer stellt sich mir die Frage, wer Mark aus dem Bett heben wird. Wen Mark haben wird, der ihn halten wird. Und dann bin ich der amerikanischen Wirklichkeit doch dankbar, in der Wunder möglich sind. In der zumindest eine in der Lotterie gewonnene Green Card einen guten Ausgang vorstellbar macht. Ein guter Ausgang. Ein Wunder, das wir uns hier nicht leisten.
Österreich ist ja kein Land, in das man oder frau sich integrieren kann. Österreich besteht auf Abstammung. Das Österreicher-Sein leitet sich von der Abstammung von Österreichern her. Von wenigstens einem österreichischen Elternteil. Österreicher sein wird so zum Schicksal. Ein Schicksal ist das, das sich vor das Menschsein schiebt. Ein Schicksal, das das Österreicher-Sein als Auswahl beschreibt. Ein österreichischer Mensch ist zuerst Österreicher und dann erst Mensch. Rechtlich. Im Bereich von Österreich gilt dann die Ausgrenzung aller nicht von Österreichern Geborenen. Mark aus Polen, der Albrecht Josef dann bis zum Tod gepflegt hat. Der ist mittlerweile vielleicht ganz in die USA gezogen. Der ist vielleicht Amerikaner geworden und lebt in einer polnischen Umgebung. Da. Seine Kinder sprechen zu Hause polnisch und in der Schule englisch. Wie auch immer. Er wird nicht einen vollständigen Übertritt in das Nationale behauptet haben müssen, wie das für ein Österreichisch-Sein abgefordert wird. Wie die letzten Jahre zeigen, findet sich immer wieder eine Möglichkeit, die Exklusivität des Österreicher-Seins noch auszubauen. Integration muss geleistet sein, um dann gewährt zu werden. Vielleicht gewährt zu werden. In der Logik der Auswahl über Abstammung muss es bei diffusen Zugangsregelungen bleiben.
Die Exklusivität der Abstammung lässt sich ja nur durch solch diffuse, stets veränderbare, rechtlich nie ganz eindeutige und amtlich auslegbare Kriterien der Ausgrenzung aufrechterhalten. Das Österreicher-Sein beschreibt sich ja schließlich an dieser Ausgrenzung. Stellt sich so überhaupt her. Jede Veränderung und jede neue Verschärfung dieser Ausgrenzung bedeutet eine Erneuerung des Österreicher-Seins. Aber. Die so Beschriebenen. Die durch diese Ausgrenzung zu Österreichern Gemachten. Wenn Ausgrenzung die Methode der Beschreibung der Zugehörigkeit ist. Wenn diese Zugehörigkeit sich über die Definition der Menschenrechte einordnet. Wenn also das Menschsein hinter diese Zugehörigkeit treten muss. Dann ist diese Möglichkeit als Möglichkeit etabliert. Wenn es für die Ausgegrenzten keine klaren und partnerschaftlichen Kriterien für ihr Leben in einer Gesellschaft gibt, dann gibt es keine solchen Kriterien in dieser Gesellschaft. Dann können die unklaren und hierarchischen Zugehörigkeitsstrukturen auf alle Bereiche übertragen werden.
Es ist nicht so lange her, da war das Österreicher-Sein dann nicht mehr das Kriterium der Zugehörigkeit. Das Argument der Abstammung war noch einmal gesteigert und zu einer neuerlichen Ausgrenzung eingesetzt worden. Die historische Realität. Der Nachweis dieses auch für die Eingegrenzten jederzeit möglichen Einsatzes des Mittels der Ausgrenzung. Ist die geschichtliche Linie vom „Inlandarbeiterschutzgesetz“ 1925 zur deutschen Reichsverordnung über ausländische Arbeitnehmer 1938, das dann bis 1975 Geltung hatte und die Haltung ausländischen Arbeitskräften gegenüber bis heute definiert. Ist diese geschichtliche Linie nicht eindeutig genug, dass den Eingegrenzten klar werden sollte, woher alle diese Sentimente kommen, die das Sprechen über „Ausländer“ so belasten.
Alle diese Gesetze sahen und sehen vor, dass Arbeitskräfte nur so lange in Österreich bleiben dürfen, solange sie gebraucht werden. Solange sie unbedingt gebraucht werden. Solange sie die Bequemlichkeit der als Österreicher Geborenen vermehren. Sie sollten und sollen möglichst allein hier ihre Arbeit erledigen und dann dahin gehen, woher sie gekommen sind. Das Leben dazwischen. Das Leben der nicht als Österreicher Geborenen ist dann in Österreich weniger wert als das der in Österreich Geborenen. Es wird nur das Arbeitsleben der Ausgegrenzten anerkannt. Das Leben als Person. Außerhalb der Arbeitszeit. Das Private. Das wird so weit wie möglich verhindert. Weil jemand dann zwar in Österreich arbeitet, aber da nicht geboren ist, werden Lebensweisen, die zur Lebenskultur der in Österreich Geborenen selbstverständlich gehören. Die werden den nicht in Österreich Geborenen nicht zugestanden. Familie. Zum Beispiel. Eine Kultur, die auf der Familie als Prinzip aufbaut, möchte also die Da-Lebenden-aber-da-nicht-Geborenen-und-hier-Arbeitenden als. Ja. Als was. Wenn einer Person kein persönliches Leben zugestanden wird.
Die Brutalität dieser Anordnung ist nicht gleich offensichtlich. Da sind zuerst diese Vorstellungen, dass jemand eben ganz einfach sein Geld da verdient. Mehr, als er oder sie zu Hause verdienen können. Weil es da ja gar keine Arbeit gibt. Also sollen sie doch froh sein, dass sie hier eine finden. Eine Arbeit. Ein Leben? „Ach ich bitte Sie“, heißt es dann. „Seien Sie nicht so empfindlich. Die haben doch hier mehr als zu Hause. Sonst wären sie gar nicht da.“ Diese vollkommene Fantasielosigkeit gegenüber dem Leben. Dass keine Vorstellung der Abende und Nächte. Der Träume. Der freien Stunden. Dass keine Fantasie aufsteigt, die eine Person in der Welt betrifft. Die die Person nur am Arbeitsplatz auftauchen lässt und alle anderen Zeiten abschneidet. Das heißt schon, das Lebensrecht der Person nicht anzuerkennen. Das ist mehr, als nur eine Fragmentierung des Blicks auf Hier-Arbeitende-aber-nichthier-von-Hiesigen-Geborene. Eine Person, die nur über ihre Arbeit existiert. Der kein Privates zugestanden wird.
Aber. In der Wandlung der Bezeichnung der Hier-Arbeitenden-aber-nicht-von-Hiesigen-Geborenen von Gastarbeitern und Gastarbeiterinnen zu Fremdarbeitern und Fremdarbeiterinnen zu Ausländern und Ausländerinnen. In diesem Wandel wird begrifflich eine weitere Entfernung zu den Leben dieser Personen hergestellt. Diese Leben werden noch weniger Gegenstand der Beschreibung dieser Personen. Ausländer. Ausländerin. Fremdarbeiter. Fremdarbeiterin. Der Bezug der Worte fremd und Ausland zum anderen. Zu nicht fremd und zugehörig. Dieser Bezug ist dann nur noch ein örtlicher. Während im Gastarbeiter und der Gastarbeiterin über ihr Gast-Sein der Bezug zu denen hergestellt war, die die Gastgeber sind, wird in fremd und Ausländer nur noch der Ort der Abstammung dieser Personen beschrieben. Die Hier-Arbeitenden-aber-nicht-hier-von-Hiesigen-Geborenen haben dann nicht einmal mehr in ihrer Bezeichnung einen Bezug zu den Hier-von-Hiesigen-Geborenen.
Das gibt den Weg für eine andere Wanderung frei. In den Gesprächen, in denen einer geraten wird, in Sachen Arbeitsmigration nicht so empfindlich zu sein. In diesen Gesprächen taucht das Argument auf. „Schauen Sie“, heißt es da. „Schauen Sie. Wir brauchen doch die Arbeitsplätze selber. So wie das ausschaut. Mit der Wirtschaft. Wir müssen doch unsere eigenen Leut unterbringen.“ Und dann folgt gleich: „Die Arbeitslosen. Die sollen das machen. Die sollen das jetzt machen. Die sollen nicht lang jammern. Die sollen nicht so empfindlich sein. Das Leben ist eben hart.“
Weil diffuse und die Menschenrechte nicht eindeutig als Basis nehmende Regelungen immer in alle Richtungen anwendbar sind, werden die Arbeitslosen in die Kategorie der nicht mehr Vollberechtigten verschoben. Noch erfüllt die Tatsache, hier von Hiesigen geboren zu sein, einen gewissen Schutz. Aber. Die Verschiebung von Arbeitslosengeld zu Notstandshilfe ist auch eine Verschiebung in der sozialen Kategorie. Abwertung ist die an den Arbeitsmigranten und -migrantinnen aufrechterhaltene und gelernte Strategie der Entledigung. Der Verminderung durch Leugnung des Rechts auf ein Leben.
In Deutschland wird anhand von Hartz IV vorgeführt, wie groß die Eingriffe in das Privatleben von arbeitslosen Personen sein können. Und wie damit ihre Entmündigung betrieben wird. Was wird die österreichische Gesellschaft auf Dauer mit den Hier-von-Hiesigen-Geborenen machen, die keine Arbeit erledigen. Ausschaffen geht mit denen ja nicht. Es gibt ja keine Nation der Arbeitslosen. Aber. Es gibt das Lager. Für die, die man nirgendwohin abtransportieren kann, weil sie als Hier-von-Hiesigen-Geborene nirgendwo anders aufgenommen würden, weil hier niemand von anderswo aufgenommen wird. Am Ende wird sich all der Fremdenhass in schrecklicher Konsequenz gegen die Hasser selbst auswirken. Gegen die, die die Schreier des Hasses geduldet haben. Oder unterstützt. Und die so willfährig eine Zwangsmaßnahme nach der anderen gegen die „anderen“ begrüßt oder geduldet haben.
Zitat aus „Nachwelt.“: „Sie fuhren Beverly Glen Boulevard und dann Sunset. Manon atmete Sauerstoff. Sah starr auf die Straße. Mark habe das Angebot, in einem Supermarkt zu arbeiten. Er hätte da reguläre Arbeitszeiten. Und. Er könne mit seiner Familie wohnen. Seine Frau und das Kind. Die wohnten irgendwo hinter Pasadena. Und es sei ja verständlich. Für ihn. Sie habe ihm versprochen, seinen Lohn zu erhöhen. Versprechen müssen. Und sie wüsste gerne, ob es dieses Angebot wirklich gebe oder ob Mark nur den Lohn habe hinauftreiben wollen. Obwohl es auch gleichgültig wäre. Sie müsste ihm ohnehin zahlen, was er wolle. So einen wie ihn. So einen fände sie nicht so schnell. Albrecht vertrage sich auch nicht mit jedem. Schon deshalb müsse sie Mark halten.“ Zitatende.
Ich habe bisher fast immer das Archilexem verwendet. Mit Absicht. Das Archilexem faßt alle Begriffe unter dem Männlichen zusammen. Das Archilexem meint also auch das Weibliche, ohne es zu nennen. Migration. Arbeitsmigration. Zuerst einmal beschreibt alles die Probleme, die ein Mann hat. Die Männer haben. In der Hierarchie zu den Arbeitsmigranten gibt es dann noch die weitere Abstufung zu den Arbeitsmigrantinnen. Zu den Migrantinnen. Die Verschneidung der inneren und äußeren Hierarchien des Zustands der Migration bedeuten für die Frauen weitere Schutzlosigkeiten. Weitere Abwertungen. Weitere Beschränkungen. Ich erinnere nur an die Tatsache, dass Sexarbeiterinnen nur in Österreich bleiben dürfen, solange sie als Sexarbeiterinnen arbeiten. Die Gewährung dieser Arbeitsgenehmigung reiht sich also in die Kette der Zuhältereien ein. Ist Mitzuhälter. Bestimmt über die Frauen. Bestimmt, dass sie zu Verfügung stehen müssen. Für die Lust der Hier-von-Hiesigen-Geborenen.
Was bedeutet es, wenn die, die etwas bauen, nie da wohnen werden. Wenn die, die da pflegen, da nie selbst gepflegt werden. Wenn die, die da putzen, nie sich da aufhalten werden. Wenn die, die das alles machen, nie an den Früchten ihrer Arbeit teilhaben werden. Nie an den Früchten ihrer Arbeit teilhaben sollen. Wenn die, die das alles machen, kein anderes Leben haben sollen. Nur arbeiten. Keine Person, die lebt. Fremde, die arbeiten. Was bedeutet es, wenn Geben und Nehmen voneinander getrennt auf Personengruppen aufgeteilt wird und der archaische Pakt der Gastfreundschaft endgültig aufgehoben ist. Was macht der Gastgeber, der nur noch nehmen kann und dann keinen Gast mehr hat. Weil der Gast der Geber werden musste.