Werk.

24.11.2015 · Kolumne.

Ich. Ich würde Wurstseminare abhalten.

LiteraturEN Das Literaturmagazin. SWR2.
Erstveröffentlichung: 24.11.2015

Ich. Ich würde Wurstseminare abhalten. Es war ja gerade zum österreichischen Nationalfeiertag am 26. Oktober, daß die WHO verarbeitetes Fleisch als krebserregend einstufte. Endgültig so. Nun. Hier. In Österreich und in Deutschland. Hier ging es mehr um die Wurst. In England wurde dagegen hauptsächlich über den Speck diskutiert. Es wären also anhand der Wahl der Wurst als Seminarthema schon einmal die nationalen Aspekte einer solchen Krise klarzustellen. (Dann ginge es um Regionales. Wie viele andere hat sich zum Beispiel der Schutzverband der Schwarzwälder Schinkenhersteller zu Wort gemeldet und sich gegen diese Einstufung von verarbeitetem Fleisch als krebserregend ausgesprochen. ) So eine Studie und die Wortmeldungen dazu wären brillante Beispiele des Kriegs der Worte, der ja immer dem Krieg vorausgeht. Und dann. Wurst. Würstel. Schinken. Die Rohwürste. Die Brühwürste. Die Kochwürste. Die Bratwürste. Wurst essen. Das ist immer gemütliches Kinderessen. Vorgekaut und süß und salzig. Eine lange Kette dieser Eßerfahrung zieht sich durch die Leben.

Ich. Ich bin an der Wurst sozialisiert. In der Besatzungszeit durch die russische Armee nach dem 2. Weltkrieg in Niederösterreich gab es bis zum österreichischen Staatsvertrag 1955 Wurst nur als Besonderheit. (Einmal in der Woche. Am Samstagabend gab es eine Knackwurst mit einer Semmel. Es ging für uns Kinder nie um Fleisch. Es ging um die Wurst und der Samstagabend wurde zum Höhepunkt der familären Speisegesellschaft und wurde zu einer Tradition, die meine Eltern später immer einhielten.) Die Wurst ist also geschichtlich aufgeladen. Für jede Person anders und es ginge darum, diese Geschichten zu heben. Und. Um welche Wurst ging es. Es waren ja auch die Frankfurter Würstel so begehrenswert, die auf Bahnfahrten noch in jedem Bahnhof vom Zug aus durch die Fenster gekauft wurden. ( Auf viereckigen Pappendeckeltellern mit gewelltem Rand. Der Senf war da gelb. Der Senf zu Hause war dünkler braun und süßlich. ) Die Debreziner Würstel waren damals sehr scharf und eine Mutprobe für meine älteren Brüder. Aber wo war dieses Debrezin, woher die zu kommen schienen. (Und Frankfurt. Hat das Versprechen meiner Großmutter, bei guter Führung auf den Eisenbahnreisen in die Steiermark Frankfurter Würstel zu bekommen, etwas damit zu tun, daß ich immer zu Frankfurter Verlagen gegangen bin. ) Was für eine Geographie entstand da in der Innenwelt kindlichen Begehrens. Wiener. Lyoner. Pfälzer. Polnische. Krainer. Und jetzt sind die alle gefährlich. Eine ganze Welt von Essenssinnlichkeit ist endgültig in die Kategorie Gefahr verschoben. Da wäre darüber zu verhandeln, wann eine solche Kategorie eintritt. Tritt die über Verkündigung ein und müssen wir die Ergebnisse statistischer Durchrechnungen zur Kenntnis nehmen. Wird Statistik zum endgültien Dogma und muß geglaubt werden. Wird hier der Glaube ganz in der christlichen Tradition in seinen beiden Bedeutungen anzuwenden sein. Wird hier der Meinung der WHO zu glauben sein im Sinne von „etwas für Wahr halten“ und gleichzeitig „an etwas glauben“. In der deutschen Sprache sind wir ja in dieser Doppelbedeutung des „Glaubens“ gefangen. Wir müßten bei jedem Gebrauch dieses Worts die gemeinte Bedeutung erläutern. Daraus würde ich den Schluß ziehen, dieses Wort überhaupt aus dem Gebrauch zu nehmen und sich immer der bedeutungsklärenden Sprechweise zu bedienen. Denn. Am Glauben an die Wurst läßt sich das sehr deutlich nachvollziehen. Der österreichische Landwirtschaftsminister hat der statistischen Aussage der WHO gleich ein Glaubensbekenntnis entgegengehalten. Hier, so meinte er. Hier gäbe es nur die besten Würste. Er hat sich also für das Glauben im Sinne von „an etwas glauben“ gehalten. Das entspricht der postchristlichen Kultur seiner Partei. Er hat also die WHO in einen kleinen Glaubenskrieg gezogen. Und. An diesem Beispiel könnten wir zunächst einmal alle anderen Krisen analysieren. Das reichte bis zu den Bürgerkriegen, deren Folgen wir an den Flüchtlingen messen können. Wir könnten feststellen, daß in der Politik fast immer diese Art der Verschiebung vom Formalen ins Inhaltliche vorgenommen wird. Das ist ein schönes Mittel keine klare Auskunft geben zu müssen. Und. Mit populistischer Empörung laut schreiend aufzutreten. Das tut so als schütze es genau diese kindliche Sinnlichkeit. Als schützte so ein österreichischer oder so ein bayrischer Minister alle Personen in ihrem Kindsein und der Erinnerung an die schönen Augenblicke. Kindheitserinnerungen haben viel mit dem zu tun, was zu essen zu bekommen war. Mit der Wurst kann so in Tiefenschichten eingegriffen erden. Bestätigend wird das gemacht. Aber wie seltsam. Diese Erinnerungen besitzen doch schon alle. Warum ist es überhaupt möglich, einen Schutz darin anzutragen. Nun ja. Das Wurstseminar würde dann in die Frage der Identität weitergeführt werden müssen. Und warum Personen darin nicht sicher sind. Oder sich bedroht fühlen. Warum die – ohnehin längst bekannte – Erkenntnis, daß Wurst nicht gerade gesundheitsförderlich ist. Warum die Bestätigung dieser Erkenntnis so bedrohlich empfunden wird. An der Wurst jedenfalls. Es ließe sich die Mühe der Erkenntnis durcharbeiten. Die Mühe des Lebens überhaupt. Weil sich immer alles verändert. Und so schnell. Das Wurstseminar könnte also auch nur tröstend wirken. Denn. Die Bedrohung. Das Gefühl keinen Bewegungsraum zu haben. Das kommt direkt von den Wurstverteidigern. Und zum Abschluß des Seminars ginge es darüber nachzudenken, was es heißen mag, daß „es nun um die Wurst ginge.“ In der Flüchtlingsfrage. Zum Beispiel.